Narrenturm - Roman
ein halbes Jahr. Und erst dann werde ich mich seiner annehmen. Und dann schicke ich ihn zu den Henkern nach Magdeburg, denn dort haben sie vorzügliche Henker, nicht solche wie die hier in Schlesien, denen der Delinquent schon am zweiten Tag unter der Folter wegstirbt. O nein, ich lasse einen Meister kommen, der sich Niklas’ Mörder eine ganze Woche lang widmet. Oder zwei.«
Apeczko Sterz schluckte.
»Aber um das tun zu können, müssen wir den Vogel fangen. Und dazu brauchen wir unseren Kopf. Verstand! Denn das Vögelchen ist nicht dumm. Wenn er dumm wäre, wäre er nicht
baccalaureus
in Prag geworden, hätte sich nicht bei den Mönchen von Oels einschmeicheln können. Und er hätte es nicht geschafft, Gelfrads Französin so wacker herzunehmen. Bei einem solchen Schlauberger genügt es nicht, ihm wie ein Dummkopf auf dem Weg nach Breslau hinterherzujagen und sich zum Gespött zu machen. Der Angelegenheit einen Ruf zu verleihen, die ihm nützt, nicht uns.«
Apeczko nickte. Ofka sah ihn an und rümpfte ihr Stupsnäschen.
»Der Vogel«, übersetzte sie weiter, »hat einen Bruder, der auf einem Lehen irgendwo in der Nähe von Heinrichau sitzt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er dort Unterschlupf sucht. Vielleicht hat er das schon getan. Ein anderer Bielau war zu seinen Lebzeiten Pfaffe am Breslauer Kollegiat, nicht ausgeschlossen, dass der Halunke bei jenem anderen Halunken unterkriechen will. Bei Seiner Hochwürden Bischof Konrad, wollte ich sagen. Dem alten Trunkenbold und Dieb!«
Roswitha Baruth wischte erneut dem Alten den Bart ab, den er in seinem Zorn schon wieder beschmutzt hatte.
»Der Vogel hat außerdem Freunde bei den Schwarzkitteln in Brieg. Im Hospital. Dahin hätte sich unser Vogel flüchten können,um Wolfher zu überraschen und in die Irre zu führen. Was übrigens keine schwere Aufgabe ist. Und schließlich das Wichtigste, sperr die Ohren auf, Apecz. Sicher will unser Vogel den Troubadour spielen, so einen beschissenen Lohengrin oder Lancelot . . . Er wird sich der Französin nähern wollen. Und dort, in Ellguth, kriegen wir ihn am sichersten, wie ein Hündchen, das einer läufigen Hündin hinterherrennt.«
»Wieso in Ellguth?«, fragte Apecz kühn. »Sie ist doch nicht mehr . . .«
»Ich weiß, sie ist geflohen. Aber er weiß es nicht.«
Der alte Scheißkerl, dachte Apeczko, seine Seele ist noch verdrehter als sein Körper. Aber er ist listig wie ein Fuchs. Und er weiß viel, das muss man zugeben. Alles.
»Zu dem, was ich gerade gesagt habe«, übersetzte Ofka in menschliche Laute, »eignet ihr euch, meine Söhne und Sohnessöhne, Blut, angeblich von meinem Blut, und Fleisch von meinem Fleisch, nur wenig. Daher wirst du dich auf schnellstem Wege zuerst nach Falkenberg und dann nach Münsterberg begeben. Dort . . . Hör gut zu, Apecz! Dort suchst du Kunz Aulock, genannt Kyrieleison. Und die anderen: Walter de Barby, Sybko von Kobelau, Stork von Gorgewitz. Denen sagst du, dass Tammo Sterz tausend rheinische Gulden dem zahlt, der Reinmar von Bielau lebendig fängt. Tausend, merke wohl.«
Apeczko musste bei jedem dieser Namen schlucken. Denn es waren die Namen der wohl schlimmsten Halunken und Mörder in ganz Schlesien, Halunken ohne Ehre und Glauben. Bereit, für drei Kreuzer die eigene Großmutter zu ermorden, was würden sie erst für die märchenhafte Summe von tausend Gulden tun. Meine Gulden, dachte Apeczko wütend. Denn das sollte mein Erbe werden, wenn dieser verfluchte Krüppel endlich alle viere von sich streckt.
»Hast du das kapiert, Apecz?«
»Ja, Vater.«
»Also, weg mit dir. Los, mach dich auf, und tu, was ich befohlen habe.«
Zuerst, dachte Apecz, mache ich mich auf den Weg in die Küche, wo ich mich satt essen und für zwei trinken werde. Du alter Knauser. Und dann wird man sehen.
»Apecz!«
Apeczko Sterz wandte sich um. Und schaute. Aber nicht in das verzogene und hochrote Antlitz des Balbulus, der ihm hier auf Sterzendorf nicht zum ersten Mal wie etwas Unnatürliches, Unbrauchbares, Ungehöriges erschien. Apeczko schaute in die großen nussbraunen Augen der kleinen Ofka. Zu Roswitha, die hinter dem Sessel stand.
»Ja, Vater?«
»Enttäusche uns nicht.«
Vielleicht, schoss es ihm durch den Kopf, vielleicht ist das gar nicht er? Vielleicht lebt er gar nicht mehr, vielleicht sitzt in diesem Sessel ein Leichnam oder ein Halbtoter, dem die Lähmung das Hirn weggefressen hat? Vielleicht sind . . . sie das? Vielleicht herrschen die Weiber – die ganz jungen, die
Weitere Kostenlose Bücher