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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gewaltiger Kraft auf das Schloss heruntersausen.
    »Stärker!«, brüllte Scharley, während er zur berstenden Tür hinschielte. »Hau kräftiger zu!«
    Samson haute kräftiger zu. So stark, dass das ganze Tor und mit ihm der Wachturm erzitterten. Das Schloss, vermutlich eine Nürnberger Arbeit, gab nicht nach, aber die Haken, die den Balken hielten, waren schon zur Hälfte aus der Mauer gerutscht.
    »Noch einmal! Hau zu!«
    Unter dem nächsten Schlag zerbarst das Nürnberger Schloss, die Haken rutschten heraus, und der Balken fiel mit Getöse zu Boden.
     
    Unter den Achseln. Reynevan zog sich das Hemd von den Schultern, entnahm mit den Fingern Salbe aus dem Tontöpfchen und zeigte, wie sie angewendet werden musste. »Reib dich damit unter den Achseln ein. Und auf dem Nacken, so, ja. Mehr, mehr . . . Verreib sie kräftig . . . Schnell, Nicoletta. Wir haben nicht viel Zeit.«
    Das Mädchen sah ihn einen Moment lang an, in ihrem Blick lagen Ungläubigkeit wie Bewunderung, miteinander kämpfend. Aber sie sagte nichts, sondern griff nur nach der Salbe. Reynevan stellte die Bank aus Eichenholz in die Mitte des Raumes. Er öffnete das Fenster weit, kalte Luft drang in das Arbeitszimmer des Magiers, Nicoletta erschauerte.
    »Geh nicht ans Fenster.« Er hielt sie zurück. »Es ist besser . . . wenn du nicht nach unten schaust.«
    »Aucassin«, sie blickte ihn an, »ich verstehe ja, dass wir um unser Leben kämpfen. Aber weißt du wirklich, was du tust?«
    »Setz dich rittlings auf die Bank, bitte. Die Zeit drängt. Setz dich hinter mich.«
    »Ich möchte vor dir sitzen. Fass mich fest um die Taille, halt mich ganz fest. Fester . . .«
    Sie war erhitzt. Sie duftete nach Kalmus und Minze, selbst der eigenartige Geruch von Huons Mixtur hatte diesen Duft nicht zu verdrängen vermocht.
    »Fertig?«
    »Fertig. Du lässt mich doch nicht los? Du lässt mich nicht fallen?«
    »Eher sterbe ich.«
    »Du darfst nicht sterben!«, seufzte sie und wandte den Kopf, ihrer beider Lippen berührten sich flüchtig. »Du darfst nicht sterben, bitte. Du musst leben. Sag den Zauberspruch.«
    Weh, weh, Windchen,
    zum Fenster hinaus
    in omnem ventum!
    Durchs Fenster geschwind,
    dass niemand uns find!
    Die Bank hüpfte und bäumte sich unter ihnen auf wie ein ungebärdiges Pferd. Obwohl sie sonst so resolut war, konnte Nicoletta ihre Angstschreie nicht unterdrücken, und um die Wahrheit zu sagen, auch Reynevan schaffte dies bei sich nicht. Die Bank erhob sich um einen Klafter und begann wie ein wütender Käfer herumzuschwirren, Huons Laboratorium verschwamm vor ihren Augen. Nicoletta schlang ihre Finger um Reynevans Hände, die sie eng umfangen hielten, und stieß schrille Töne aus, aber er hätte schwören können, dass dies mehr aus Lust, denn aus Angst geschah.
    Die Bank strebte nun direkt dem Fenster zu, hinaus in die kalte, dunkle Nacht. Und sogleich im Sturzflug steil nach unten.
    »Halt dich fest!«, schrie Reynevan. Der Luftstrom drückte ihm die Worte zurück in die Kehle. »Haaalt dich feeeesssst!«
    »Halt du dich fest! O Jeeee-suuuus!«
    »Aaaaaaa-aaaaaaa!«
     
    Das Nürnberger Schloss gab nach, der Balken fiel mit Getöse zu Boden. Im selben Moment krachte die Tür, die zum Turm führte, aus der Wand, und die Raubritter fielen auf die steinernen Stufen, alle bewaffnet, alle wild ergrimmt, aber so blind vor Wut, dass Buko von Krossig, der als Erster herausstürmte, auf den steilen Stufen stolperte und geradewegs in einen Misthaufen segelte. Die übrigen stürzten sich auf Samson und Scharley. Samson brüllte wie ein Stier, während er die Angreifer mit kräftigen Axthieben abwehrte, der ebenfalls brüllende Scharley hielt sie sich mit einer am Tor gefundenen Hellebarde vom Leibe. Aber die Raubritter waren   – auch was die Kampferfahrunganlangte   – in der Übermacht. Dennoch wichen sie vor den bösartigen Stößen und heimtückischen Hieben von Samsons und Scharleys Schwertern zurück.
    So lange, bis sie den harten Widerstand der Mauer im Rücken spürten.
    Da kam Reynevan herangeflogen.
     
    Als Reynevan die Platten, mit denen der Hof ausgelegt war, erblickte und diese größer und immer größer wurden, begann er zu schreien. Auch Nicoletta schrie. Ihre Schreie, die der Wind, der ihnen die Kehle zuzudrücken drohte, in ein Geheul der Verdammten im Fegefeuer verwandelte, waren erfolgreicher als ein richtiger Entsatz. Außer Kuno Wittram, der gerade nach oben blickte, hatte keiner der Raubritter die Reiter auf ihrer fliegenden

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