Narrenturm - Roman
wären.«
»Berufskrankheit.«
»Was ist mit Samson?«
»Was wohl, was?«, empörte sich Scharley. »Sie haben seineVisage gesehen und ihn laufen lassen. Ironie, was? Sie haben ihn laufen lassen, weil sie ihn für einen Idioten gehalten haben. Und uns haben sie bei den Idioten eingeschlossen. Ehrlich gesagt, ich bin ihnen deswegen nicht gram, ich gebe mir selbst die Schuld. Dich wollten sie haben, Cyprian, niemand anders, das
significavit
ist auf dich ausgestellt. Mich haben sie eingelocht, weil ich mich gewehrt habe, ein paar Nasen zertrümmert habe, ha, ein paar Tritte haben auch genau das getroffen, was sie treffen sollten, ohne mich rühmen zu wollen . . . Hätte ich mich ruhig verhalten, so wie Samson . . .« Er seufzte. »Unter uns gesagt«, fuhr er, nachdem er beklommen geschwiegen hatte, fort, »meine ganze Hoffnung ruht auf ihm, auf Samson. Dass er sich etwas ausdenkt und Hilfe organisiert. Und das schnell. Sonst . . . Sonst könnten wir Probleme kriegen.«
»Mit der Inquisition? Aber wessen klagen sie uns an?«
»Das Problem ist nicht«, Scharleys Stimme klang überaus ernst, »wessen sie uns anklagen. Das Problem ist, was wir zugeben sollen.«
Reynevan benötigte keine weiteren Erklärungen, er wusste, worum es ging. Was sie in der Scheune der Zisterzienser gehört hatten, hatte das Todesurteil zur Folge, und einen Tod, dem die Folter vorausging. Dass sie gelauscht hatten, durfte keiner erfahren. Auch der bedeutsame Blick, mit dem Scharley auf die anderen Pensionäre wies, bedurfte keiner Erklärung. Reynevan wusste auch so, dass die Inquisition Spitzel und Aufwiegler ins Gefängnis einzuschleusen pflegte. Scharley hatte ihm zwar versprochen, diese rasch ausfindig zu machen und zu entlarven, aber er hatte ihn auch zu Vorsicht und Verschwiegenheit gegenüber anderen ermahnt, auch gegenüber solchen, die anscheinend aufrichtig waren. »Es ist nicht gut«, hatte er entschieden, »dass diese irgendetwas wissen und darüber reden.«
»Denn«, hatte er hinzugefügt, »ein Mensch auf der Streckbank redet. Er redet viel, er sagt alles, was er weiß, er spricht,worüber man nur sprechen kann. Denn solange er redet, verbrennen sie ihn nicht.«
Reynevan war trübsinnig geworden. So sehr, dass Scharley es für ratsam hielt, ihm zur Aufmunterung einen freundlichen Klaps auf den Rücken zu geben.
»Kopf hoch, Cyprian«, ermunterte er ihn, »noch haben sie uns nicht am Wickel.«
Reynevan wurde noch trübsinniger, und Scharley gab schließlich auf. Er wusste nicht, dass Reynevan keineswegs befürchtete, unter der Folter etwas über die in der Scheune verhandelten dunklen Machenschaften preiszugeben. Hundertmal mehr entsetzte ihn der Gedanke, er könne Katharina Biberstein verraten.
Nachdem sie sich ein Weilchen ausgeruht hatten, knüpften die beiden Bewohner des Quartiers »Zur Omega-Säule« weitere Bekanntschaften an. Mit unterschiedlichem Erfolg. Einige der Pensionäre des Narrenturmes wollten überhaupt nicht reden, andere konnten nicht, weil sie sich in einem Zustand befanden, den die Doktoren der Prager Universität – nach der Schule von Salerno – als
dementia
oder
debilitas
bezeichnet hätten. Andere waren gesprächiger. Aber auch diese hatten es nicht eilig damit zu sagen, wer sie waren, so dass Reynevan sie in Gedanken mit passenden Spitznamen bedachte.
Ihr unmittelbarer Nachbar war Thomas Alpha – er hauste unter dem Pfeiler, der diesen griechischen Buchstaben trug –, und in den Narrenturm war er am Tage des heiligen Thomas von Aquin gekommen, am siebten März. Warum er hierher gekommen war, und warum er schon so lange hier saß, sagte er ihnen nicht, aber auf Reynevan machte er keineswegs den Eindruck eines Verrückten. Er stellte sich als Erfinder vor, Scharley hielt ihn jedoch wegen seiner eigenartigen Sprache für einen flüchtigen Mönch. Ein Loch in der Klostermauer zu finden, meinte er, verdiene nicht, Erfindung genannt zu werden.
Unweit von Thomas Alpha hauste unter dem Buchstaben Tau und der in die Wand geritzten Aufschrift POENITEMINI der Kamaldulenser. Die Ordenszugehörigkeit konnte er nicht verbergen, seine Tonsur war noch nicht wieder vollständig mit Haaren bedeckt. Mehr wusste man nicht über ihn, denn er schwieg wie ein wahrer Bruder von Camaldoli. Und wie ein wahrer Kamaldulenser ertrug er auch ohne Murren und Klagen die vielen Fastentage im Narrenturm.
Auf der gegenüberliegenden Seite, unter der Aufschrift LIBERA NOS DEUS NOSTER, hausten zwei Gestalten
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