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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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des Heiligen Grabes an. Einen Moment lang schien es, als wolle er mit kurzen, wohlgewählten Worten seinen Kommentar dazu abgeben. Tranquilus hatte dies wohl erwartet, denn er hob seinen Knüppel und trat einen Schritt zurück, um besser ausholen zu können. Aber der am Boden Liegende knirschte nur mit den Zähnen und und verbiss sich alles Unausgesprochene.
    »Na«, der Bruder des Heiligen Grabes nickte, »das verstehe ich. Mit Gott, Bruder.«
    Der Liegende setzte sich auf. Reynevan erkannte ihn beinahe nicht. Der graue Mantel fehlte, die silberne Spange und die Fellkappe
.
Das enge Wams war mit Staub und Kalk bedeckt, an beiden wattierten Schultern aufgeschlitzt.
    »Sei gegrüßt.«
    Urban Horn hob den Kopf. Seine Haare waren zerzaust, ein Auge blutunterlaufen, die Lippe geplatzt und geschwollen.
    »Sei gegrüßt, Reinmar«, erwiderte er. »Weißt du, es wundert mich überhaupt nicht, dich hier im Narrenturm zu finden.«
    »Bist du noch heil? Wie fühlst du dich?«
    »Großartig. Geradezu blendend. Mir strahlt wohl schon der Sonnenschein aus dem Arsch. Schau nach und überzeug dich. Mir selber fällt es schwer.«
    Er stand auf und betastete seine Seiten, massierte sich das Kreuz.
    »Sie haben meinen Hund getötet«, sagte er mit kalter Stimme. »Erschlagen haben sie ihn. Meinen Beelzebub. Erinnerst du dich noch an Beelzebub?«
    »Das tut mir leid.« Reynevan erinnerte sich noch genau an die Zähne der Dogge, einen Zoll vor seinem Gesicht. Aber es tat ihm wirklich leid.
    »Das vergesse ich ihnen nicht.« Horn knirschte mit den Zähnen. »Mit denen rechne ich ab. Sobald ich hier herauskomme.«
    »Das kann problematisch werden.«
    »Ich weiß.«
     
    Als Horn und Scharley einander vorgestellt wurden, musterten sie sich gegenseitig lange, blinzelten und bissen sich auf die Unterlippe. Man sah, hier traf ein Pfiffikus auf den anderen, ein Schalk auf einen anderen. Das war so offensichtlich, dass keiner der beiden Schalke den anderen etwas fragte.
    »Also«, Horn sah sich um, »da sitzen wir nun also. Frankenstein, das Spital der Regularkanoniker, der Ritter vom Heiligen Grab von Jerusalem. Der Narrenturm. Der Turm der Narren.«
    »Nicht nur.« Scharley kniff ein Auge zu. »Was der werte Herr zweifellos weiß.«
    »Der werte Herr weiß dies zweifellos«, gab Horn zu. »Die Inquisition und das bischöfliche
significavit
haben ihn hier festgesetzt. Tja, was man über das Heilige Officium auch denkenmag, seine Gefängnisse sind in der Regel ordentlich, geräumig und sauber. Auch hier, wie meine Nase mir sagt, werden die Kübel von Zeit zu Zeit geleert, und die Pensionäre sehen gar nicht so abgerissen aus . . . Man sieht’s, die Ritter des Heiligen Grabes kümmern sich. Wie ist das Essen?«
    »Schlecht. Aber regelmäßig.«
    »Das ist nicht übel. Das letzte Irrenhaus, das ich gesehen habe, war die Pazzeria bei Santa Maria Nuova in Florenz. Da hättet ihr mal die Patienten sehen sollen! Ausgehungert, verlaust, zerlumpt, verdreckt . . . Und hier? Euch könnte man, wie ich sehe, sofort bei Hofe einführen . . . Na, vielleicht nicht gerade am Kaiserhof, vielleicht nicht im Wawelschloss . . . Aber schon in Vilnius, das garantiere ich euch, könntet ihr so auftreten, wie ihr da steht, ihr würdet euch kaum von anderen unterscheiden. Jaaaa . . . Ich hätt’, ich hätt’ es schlechter treffen können . . . Wenn hier nur keine Irren wären . . . Tobsüchtige gibt’s unter denen hoffentlich nicht? Oder, Gott verhüt’s, Sodomiten?«
    »Die gibt es nicht«, beruhigte ihn Scharley. »Davor hat uns die heilige Dymphna bewahrt. Nur die da, oh. Die liegen da, brabbeln, spielen mit ihren Piephähnen. Nichts Besonderes.«
    »Großartig. Was soll’s, wir verbringen ein bisschen Zeit miteinander. Vielleicht auch etwas mehr Zeit.«
    »Vielleicht auch weniger, als Ihr denkt.« Der Demerit lächelte schief. »Wir sitzen hier schon seit St. Cornelius. Und erwarten die Inquisition jeden Tag. Wer weiß, vielleicht schon heute?«
    »Heute nicht«, versicherte ihm Urban Horn ruhig. »Morgen auch nicht. Die Inquisition ist momentan anderweitig beschäftigt.«
     
    Obwohl sie ihn bedrängten, bequemte sich Horn erst nach dem Mittagessen   – das er übrigens mit Appetit verzehrte, er verschmähte auch den Rest nicht, den Reynevan übrig ließ, der sich in letzter Zeit nicht wohl fühlte und den Appetit verloren hatte   – dazu, zu erklären, was er damit gemeint hatte.
    »Seine Hochwohlgeboren Bischof Konrad von Breslau«, sagte Horn,

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