Narrenturm - Roman
Ketzerei sprach besser und beredter der verbrannte Leichnam am Pfahl. Die zerstückelten und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichen, die man auf einem Stoppelfeld aufgetürmt hatte. Das Feuer, das über den Dächern der Siedlung wütete. Die gellenden Schreie der jungen Mädchen in der Scheune, die man zur Belustigung der Glatzer Knechte des Herrn Puta von Czastolovice dorthin geschleppt hatte.
Inmitten der Böhmen wütete und tobte Pater Miegerlin. Mit Bewaffneten, begleitet von einigen Dominikanern, machte der Priester Jagd auf Hussiten und ihre Sympathisanten. Dabei half ihm die Namensliste, die Miegerlin von Birkhart Grellenort erhalten hatte. Der Priester fasste Grellenort aber keineswegs als Orakel auf, hielt dessen Liste nicht für etwas Heiliges. Er behauptete vielmehr, er erkenne Häretiker an den Augen, den Ohren und ganz allgemein am Gesichtsausdruck, und hatte auf dem Zug schon fünfmal mehr Ketzer gefangen, als auf der Liste standen. Ein Teil davon war auf der Stelle ermordet worden, andere kamen in Gefangenschaft.
»Was ist mit denen?«, fragte der Marschall des Bischofs, Lorenz von Rohrau, der herangeritten war. »Euer Hochwohlgeboren? Was befehlt Ihr, mit ihnen zu tun?«
»Das Gleiche wie mit den vorigen.« Konrad von Oels schaute ihn streng an.
Als sie sahen, dass sich die Bogenschützen und die Knechte aufstellten und ihre Pfeile herausnahmen, erhoben die Böhmen ein schreckliches Geschrei. Ein gutes Dutzend Männer drängte sich durch die Menge und setzte zur Flucht an, Berittene folgten ihnen, holten sie ein und erschlugen oder erstachen sie mit ihren Schwertern. Andere drängten sich eng zusammen, knieten nieder, warfen sich auf die Erde. Die Männer schirmten die Frauen mit ihren Körpern ab, die Mütter ihre Kinder.
Die Armbrustschützen drehten ihre Winden.
Ja nun, dachte Konrad, in dieser Menschenmenge befinden sich gewiss auch ein paar Unschuldige, vielleicht sogar gute Katholiken. Aber Gott erkennt seine Schäfchen.
Wie er sie im Languedoc erkannt hat. In Béziers, in Carcassonne, in Toulouse. In Montségur.
Ich werde in die Geschichte eingehen, dachte er, als Verteidiger des wahren Glaubens, als Bezwinger der Häresie, ein schlesischer Simon von Montfort. Meine Nachkommen werden meinen Namen ehrerbietig nennen und ihn ehren. Wie den von Simon, den von Schwenckefeld, den von Bernard de Gui. Was aber den heutigen Tag anlangt, so werden sie mich vielleicht jetzt endlich in Rom zu schätzen lernen. Vielleicht wird das Bistum Breslau endlich in den Rang eines Erzbistums erhoben, und ich werde Erzbischof und Kurfürst? Vielleicht ist dann endlich Schluss mit dieser Farce, dass die Diözese rein rechtlich Teil der polnischen Kirche ist und – wohl nur, um zum Gespött zu dienen – dem polnischen Metropoliten, dem Erzbischof von Gnesen, untersteht? Sicher, eher holt mich der Teufel, als dass ich einen Polacken als Vorgesetzten anerkenne, aber was für eine Demütigung ist das, diesem Jastrzębiec zu unterstehen. Der auch noch frech fordert – Gott! Wie kannst du das nur mit ansehen! – bei einem Besuch als Seelsorger empfangen zu werden! In Breslau! Ein Pole in Breslau! Niemals! Nimmermehr!
Die ersten Pfeile sirrten, die Sehnen der Bogen surrten, diejenigen, welche dem Kessel zu entkommen suchten, starben durchs Schwert. Die Schreie der Hingemordeten stiegen zum Himmel empor. Das hier, dachte Bischof Konrad, während er sein ängstlich tänzelndes Pferd zügelte, das hier müssen sie in Rom beachten, das müssen sie würdigen. Dass hier in Schlesien, an den Grenzen Europas und der christlichen Zivilisation, ich, Konrad von Oels, das Kreuz hochhalte. Dass ich ein wahrhafter
bellator Christi
bin, ein
defensor
und Beschützer des Katholizismus. Und für die Häretiker und Apostaten – die Strafe und die Peitsche Gottes, das
flagellum Dei.
Die Schreie der Sterbenden und vom Tode Bedrohten wurden plötzlich von Rufen übertönt, die von einem Weg her erschollen, der hinter einem Hügel verborgen war. Kurz darauf nahten von dort Reiter, die mit lautem Hufschlag im Galopp nach Osten jagten, auf Lewin zu. Hinter den Reitern rumpelten Wagen einher, die Fuhrleute brüllten, sie standen auf den Böcken und schlugen erbarmungslos mit Peitschen auf die Pferde ein, um sie zu schnellerem Lauf zu zwingen. Hinter den Wagen her trieb man brüllende Kühe, hinter den Kühen liefen Leute, die laut riefen. Der Bischof verstand im Tumult nicht, was sie riefen. Aber andere hatten es
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