Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
während er mit den Fingern die letzten Graupen aus der Schüssel herausfischte, »ist in das hussitische Böhmen eingefallen. Mit Herrn Puta von Czastolovice ist er waffenklirrend nach Nachod und Trautenau gezogen.«
    »Ein Kreuzzug?«
    »Nein. Ein Raubzug.«
    »Das ist doch genau dasselbe.« Scharley lächelte.
    »Oho!« Horn lachte. »Ich wollte fragen, wofür der werte Herr hier einsitzt, aber jetzt frage ich lieber doch nicht danach.«
    »Ist auch gut so. Was hat es mit diesem Raubzug auf sich?«
    »Der Vorwand, falls überhaupt ein Vorwand nötig war, war der angebliche Raubüberfall der Hussiten auf den Steuereinnehmer, angeblich am dreizehnten September. Angeblich haben sie dabei mehr als anderthalbtausend Mark erbeutet . . .«
    »Wie viel?«
    »Ich habe doch gesagt: angeblich, anscheinend, mutmaßlich. Keiner glaubt daran. Aber als Vorwand kam er dem Bischof gerade recht. Den Zeitpunkt hingegen hat er ganz genau gewählt. Er ist dort eingefallen, als das hussitische Heer aus Hradec Králové abgezogen war. Der dortige Hetman, Jan Čapek von Sán, ist nämlich mit ihnen nach Podještěd an der Lausitzer Grenze gezogen. Der Bischof hat, wie man sieht, nicht die schlechtesten Spione.«
    »Ja sicher hat er die.« Scharley zuckte nicht mit der Wimper. »Fahrt fort. Herr Horn? Sprecht! Achtet nicht auf die Irren. Die könnt Ihr Euch noch lange genug ansehen.«
    Endlich konnte sich Urban Horn vom Anblick des Normalen losreißen, der sich mit Begeisterung der Selbstbefriedigung hingab. Und von dem eines der Debilen, der hochkonzentriert aus seinen eigenen Ausscheidungen eine kleine Zikkurat errichtete.
    »Jaaa . . . Was sagte ich doch gleich . . . Aha. Bischof Konrad und Herr Puta sind auf dem Weg über Lewin und Hummel nach Böhmen eingedrungen. Sie haben die Gegend um Nachod,Trautenau und Wiesenberg verwüstet und ausgeraubt, die Dörfer angezündet. Sie haben alle geplündert und gemordet, wer ihnen gerade in die Hände fiel, Männer, Frauen, ohne Unterschied. Kinder, die unter einen Pferdebauch passten, hat man verschont. Einige wenigstens.«
    »Und dann?«
    »Dann . . .«
     
    Der Scheiterhaufen erlosch allmählich, das Feuer lohte und knisterte nicht mehr, es flackerte nur noch schwach auf einem Häufchen Holz. Das Holz war nicht völlig verbrannt, zum einen, weil es geregnet hatte, zum anderen, weil man feuchtes Holz genommen hatte, damit der Häretiker nicht zu schnell starb, um ihn langsam zu rösten und ihm dabei einen Eindruck von der Hölle zu vermitteln, die ihn erwartete. Aber man hatte es übertrieben, hatte nicht darauf geachtet, das rechte Maß einzuhalten   – das feuchte Holz hatte bewirkt, dass der Deliquent nicht verbrannte, sondern umso schneller am Qualm erstickte. Er hatte es nicht einmal geschafft, ordentlich zu schreien. Auch war er nicht vollständig verbrannt, der mit einer Kette an den Pfahl gefesselte Körper hatte sein menschliches Aussehen nicht verloren. Das blutige, noch nicht durchgebratene Fleisch hing an vielen Stellen noch am Skelett, die Haut baumelte herab, und wenn hier und da ein Knochen zu sehen war, dann war er eher rot als schwarz. Der Kopf war ziemlich gleichmäßig verbrannt, die verkohlte Haut fiel vom Schädel. Aber die weißen Zähne in dem im Todeskampf weit aufgerissenen Mund verliehen dem Kopf ein ziemlich makaberes Aussehen.
    Paradoxerweise entschädigte dieser Anblick für das viel zu kurze und wenig qualvolle Leiden, denn er war zweifellos von besonderer psychologischer Wirkung. An den Ort des Todes hatte man viele Böhmen aus den umliegenden Dörfern zusammengetrieben, die der Anblick eines schwarzen Fleischklumpens auf einer Brandstelle sicher nicht erschreckthätte. Als sie aber in dem halbverbrannten, die Zähne bleckenden Leichnam ihren Prediger zu erkennen glaubten, brachen die Böhmen zusammen. Die Männer zitterten und bedeckten die Augen, die Frauen heulten und wehklagten, die Kinder weinten.
    Konrad von Oels, der Bischof von Breslau, reckte sich im Sattel so stolz und energisch, dass die Rüstung knirschte. Ursprünglich hatte er die Absicht gehabt, vor den Gefangenen eine Ansprache zu halten, eine Predigt, die dem Pöbel das Böse der Häresie aufzeigen und ihn vor der strengen Strafe warnen sollte, die Abtrünnige des wahren Glaubens traf. Aber er verzichtete darauf, schaute nur zu und kräuselte die Lippen. Wozu sollte er sich den Mund fusselig reden? Dieses böhmische Gesindel verstand sowieso kaum ein Wort Deutsch. Und von der Strafe für

Weitere Kostenlose Bücher