Narrenturm - Roman
verstanden. Die Knechte, die auf die Böhmen schossen, drehten sich um und wandten sich wie ein Mann zur Flucht, den Reitern, den Wagen, den Flüchtenden hinterher, die den ganzen Weg füllten.
»Wohin?«, brüllte der Bischof. »Stehen bleiben! Was ist los mit euch? Was ist los?«
»Die Hussiten!«, schrie Otto von Borschnitz, sein Pferd zum Stehen bringend. »Die Hussiten! Die Hussiten ziehen gegen uns! Die Wagen der Hussiten!«
»Blödsinn! Es gibt kein Heer in Hradec Králové! Die Hussiten sind nach Podještěd gezogen!«
»Nicht alle! Nicht alle! Sie kommen! Sie ziehen gegen uns! Weeeg! Rettet Euer Leben!«
»Stehen bleiben!«, brüllte Konrad, rot vor Wut. »Stehen bleiben,ihr Feiglinge! Stellt euch zum Kampf! Zum Kampf, ihr Hundesöhne!«
»Rette dich!«, schrie Michael Zedlitz, der Starost von Ottmachau, im Vorbeigaloppieren. »Die Hussiten! Sie ziehen gegen uns! Die Hussiiiten!« Er keuchte. »Herr Puta und Herr Kolditz sind schon auf und davon! Rette sich, wer kann!«
»Stehen bleiben . . .« Der Bischof versuchte vergeblich, den Lärm zu überschreien. »Ihr Herren Ritter! Wie könnt Ihr . . .«
Sein Pferd scheute und bäumte sich auf. Lorenz von Rohrau packte es am Zügel und brachte es zum Stehen.
»Lasst uns fliehen!«, schrie er. »Euer Hochwohlgeboren! Retten wir unser Leben!«
Auf dem Weg galoppierten weitere Berittene, Schützen und Panzerreiter, unter den Letzteren erkannte der Bischof Sander Bolz, Hermann Eichelborn, im Mantel der Johanniter. Hanusz Czenebis, Johann Haugwitz, einen von den Schaffs, leicht zu erkennen an den weithin sichtbaren Wappen
palé d’argent et de gueules.
Hinter ihnen jagten mit verzerrten Gesichtern Hals über Kopf Markwart von Stolberg, Gunter Bischofsheim, Ramfold Oppeln und Niczko von Runge. Ritter, die sich noch gestern gegenseitig darin überboten hatten, nicht nur Hradec Králové anzugreifen, sondern den Berg Tábor selbst. Und jetzt flohen sie in panischer Angst.
»Rette sich, wer noch am Leben ist!«, brüllte Tristram Rachenau im Vorbeireiten. »Ambros kommt! Ambrooos!«
»Christe, erbarme dich!«, stammelte Pater Miegerlin, der neben dem Pferd des Bischofs herlief. »Christe, errette!«
Ein mit Beutegut beladener Wagen mit gebrochenem Rad versperrte den Weg. Er wurde zur Seite geschoben, umgeworfen. Kistchen, Truhen, Fässchen, Federbetten, Wandteppiche, Pelzmäntel, Schuhe, Speckseiten und anderes, was aus den verbrannten Dörfern geraubt worden war, rollte in den Schlamm. Der nächste Wagen blieb stecken, hinter ihm noch einer, die Kutscher sprangen herunter und flohen zu Fuß wei-ter.Schon war der Weg mit Beutegut übersät, das die Knechte zusammengerafft hatten. Nach einer Weile erblickte der Bischof neben den Bündeln und Packen auch weggeworfene Schilde, Hellebarden, Streitäxte, Armbrüste, ja sogar Schusswaffen. Die vom Gewicht ihrer Waffen befreiten Knechte rannten so schnell, dass sie die Berittenen und Panzerreiter einholten. Diejenigen, die es nicht schafften, heulten und schrien maßlos. Kühe brüllten, Lämmer blökten.
»Schneller, schneller, Euer Hochwohlgeboren . . .«, drängte Lorenz von Rohrau mit zitternder Stimme. »Retten wir uns . . . Retten wir uns . . . Und wenn’s nur bis Hummel ist . . . Bis zur Grenze . . .«
Mitten auf dem Weg lag, zum Teil zu Boden gepresst, von Kuhfladen beschmutzt, mit Brezeln und Topfscherben übersät, ein Banner mit einem großen roten Kreuz. Das Zeichen des Kreuzzuges.
Konrad, der Bischof von Breslau, biss sich auf die Lippen. Und gab seinem Pferd die Sporen. Nach Osten. Nach Hummel und zum Lewiner Pass. Rette sich, wer kann. Nur schneller. Schneller. Denn da kommt . . .
»Ambros! Ambros kooommt!«
»Ambros.« Scharley nickte. »Er war früher Propst an der Kirche zum Heiligen Geist in Hradec Králové. Ich habe von ihm gehört. Er war an Žižkas Seite bis zu dessen Tod. Ein gefährlicher Radikaler, ein charismatischer Volksaufwiegler, ein begabter Verführer der Massen. Die gemäßigten Calixtiner fürchten ihn wie der Teufel das Weihwasser, denn Ambros glaubt, wer eine Position der Mäßigung vertrete, verrate die Ideale von Hus und die Kommunion mit dem Kelch. Und auf einen Wink von ihm stehen tausende Männer vom Tábor mit Dreschflegeln bereit.«
»Stimmt«, bestätigte Horn. »Ambros hat schon beim letzten Raubzug des Bischofs gewütet, im Jahre einundzwanzig. Damals, wie ihr wisst, hat es mit einem Waffenstillstand geendet,den Hynek Krušina und Čeněk von Vartenberk mit
Weitere Kostenlose Bücher