Narrenturm - Roman
pfeife. Eure Verschwörungen und euer Religionsstreit gehen mir am Arsch vorbei. Hörst du, Horn? Ich verlange nicht, dass du deine Kameraden verrätst, dass du weitere Verstecke verrätst, in denen ihr Johann Wyclif Anglicus,
doctor evangelicus super omnes evangelistas
verbergt. Aber ich muss, zum Teufel noch mal, wissen, warum, wie und von wessen Hand mein Bruder getötet worden ist. Und du wirst mir das sagen. Und wenn ich es aus dir herausprügeln muss!«
»Oho! Schau doch mal, was für ein Kampfhähnchen!«
»Steh auf! Du kriegst gleich eins in die Fresse.«
Horn erhob sich. Mit einer raschen, geschmeidigen Bewegung, die an einen Luchs erinnerte.
»Ruhig«, zischte er, »ruhig, junger Herr von Bielau. Nicht aufregen. Aufregung schadet der Schönheit. Du willst doch nicht etwa hässlich werden. Und deinen in ganz Schlesien gerühmten Erfolg bei Ehefrauen aufs Spiel setzen.«
Reynevan bog seinen Oberkörper nach hinten und versetzte ihm einen Tritt dicht unters Knie, den er sich bei Scharley abgeschaut hatte. Der überraschte Horn fiel auf die Knie. Abervon da an brachte Scharleys Taktik keinen Erfolg mehr. Dem Hieb, der ihm die Nase brechen sollte, wich Horn mit einer unmerklichen, aber raschen Bewegung aus, Reynevans Faust streifte nur das Ohr. Mit dem Unterarm wehrte Horn einen weiteren, ziemlich nachlässig gesetzten linken Haken ab, flink wie ein Luchs sprang er von den Knien auf und nach hinten.
»Na, na.« Seine Zähne blitzten. »Wer hätte das gedacht? Aber wenn du das willst, Junge . . . Ich stehe ganz zu deiner Verfügung.«
»Horn«, ohne sich umzuwenden, schlug Scharley mit einer Königin aus Brot das Pferd aus Brot von Thomas Alpha, »wir sind im Gefängnis, ich kenne die Regel und mische mich nicht ein. Aber ich schwöre dir, alles, was du ihm antust, zahle ich dir mit doppelter Münze heim. Auch Verrenkungen und Knochenbrüche.«
Es ging schnell. Horn sprang so rasch herbei wie ein Luchs, mit fließenden und flinken Bewegungen, geradezu tänzerisch. Reynevan wich dem ersten Schlag aus, schlug zu, traf sogar, aber nur einmal, alle anderen Faustschläge prallten, unwirksam und schlapp, an der Deckung ab. Horn schlug zweimal zu, sehr schnell. Beide Male zielte er gut. Reynevan landete schwungvoll mit dem Hintern voran auf dem Boden.
»Wie die Kinder«, meinte Thomas Alpha und zog seinen König. »Ganz wie die Kinder.«
»Der Turm schlägt den Bauern«, sagte Scharley, »Schach und matt.«
Urban Horn stand vor Reynevan und rieb sich die Wange und das Ohr.
»Ich werde diese Angelegenheit nie mehr erwähnen«, sagte er drohend. »Nie mehr. Aber damit es nicht so scheint, als hätten wir uns umsonst geprügelt, werde ich deine Neugier wenigstens ein klein wenig befriedigen und dir etwas verraten. Etwas, was deinen Bruder Peter betrifft. Du wolltest wissen, wer ihn getötet hat. Ich weiß nicht, wer, aber ich weiß, was. Es ist mehr als gewiss, dass deine Romanze mit Adele Sterz Peter getötethat. Weil sie einen Vorwand bot, einen vortrefflichen Vorwand, der den eigentlichen Grund fast vollständig verdeckt. Du willst mir doch nicht etwa einreden, dass du nicht schon selbst darauf gekommen bist. So gut wie du zwei und zwei zusammenzählen kannst.«
Reynevan wischte sich das Blut von der Nase. Er gab keine Antwort. Er leckte seine anschwellende Lippe.
»Reinmar«, fügte Horn hinzu, »du siehst schlecht aus. Du hast doch nicht etwa Fieber?«
Eine Zeit lang schmollte Reynevan. Mit Horn – aus gegebenem Anlass, mit Scharley, weil er nicht eingegriffen und Horn verdroschen hatte. Mit Koppirnig, weil der schnarchte, Bonaventura gegenüber, weil der stank, er war sauer auf Circulos, auf Bruder Tranquilus, auf den Narrenturm und die ganze Welt. Auf Adele von Sterz, weil sie sich ihm gegenüber so schändlich verhalten hatte. Auf Katharina Biberstein, weil er sich ihr gegenüber schändlich verhalten hatte.
Zu allem Überfluss fühlte er sich miserabel. Er hatte Schnupfen, Schüttelfrost beutelte ihn, er schlief schlecht und wachte schweißbedeckt und fröstelnd auf.
Träume quälten ihn, in denen er immer und immer wieder Adeles Duft roch, ihren Puder, ihr Rouge, ihre Lippenpomade, ihr Henna, einen Duft, der abgelöst wurde vom Geruch Katharinas, dem Geruch ihrer Weiblichkeit, ihres mädchenhaften Schweißes, der Minze und des Kalmus in ihren Haaren. Finger und Hände erinnerten sich an die im Schlaf ständig wiederkehrenden Berührungen – und verglichen sie miteinander.
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