Narrenturm - Roman
Gewalt«, mahnte Bruder Tranquilus eindringlich und ließ seinen Stock sinken. »Ohne Gewalt. Dies ist immer noch, sei es, wie es sei und allem Anschein zum Trotz, ein Spital. Verstanden?«
Die Knechte brummten etwas und nickten. Bruder Tranquilus wies Reynevan mit dem Stock den Weg zu den Stufen.
Die frische und kalte Luft warf ihn fast um, als er sie in seine Lungen sog, er schwankte und taumelte, berauscht wie von einem Schluck Branntwein auf nüchternen Magen. Er wäre wahrscheinlich gestürzt, aber die Schergen, die schon Übung darin hatten, fassten ihn unter den Armen. Dadurch scheiterte sein verzweifelter Plan, zu fliehen. Oder der, den Tod im Kampf zu finden. Als sie ihn wegschleppten, konnte er gerade noch einen Fuß vor den anderen setzen.
Er sah das Hospital zum ersten Mal. Der Turm, aus demer herausgeführt wurde, beschloss einen
cul-de-sac
aus zusammenstoßenden Mauern. Auf der gegenüberliegenden Seite, am Tor, schmiegten sich Gebäude an die Mauer, vermutlich war dort das Spital und das
medicinarium.
Aber auch, den Gerüchen nach zu schließen, die Küche. Unter der überdachten Mauer hatte man die Pferde untergestellt, die in Pfützen aus Urin standen. Überall liefen Bewaffnete herum. Der Inquisitor, vermutete Reynevan, musste mit einer großen Eskorte gekommen sein.
Aus dem
medicinarium
, dem sie zustrebten, drangen hohe, verzweifelte Schreie. Reynevan vermeinte, Bonaventuras Stimme zu erkennen. Tranquilus fing seinen Blick auf und befahl ihm, den Finger auf den Mund legend, zu schweigen.
Als bewege er sich in einem Traum, fand er sich im Inneren des Gebäudes in einem hellen Raum wieder. Aus dem Traum rissen ihn ein Schlag, ein Schmerz in den Knien. Er wurde vor einem Tisch in die Knie gezwungen, hinter dem drei Mönche saßen, der Bruder vom Heiligen Grab und zwei Dominikaner. Er blinzelte und schüttelte den Kopf. Der in der Mitte sitzende Dominikaner, ein Dürrer mit bräunlichen Flecken auf dem kahlen Schädel im schmalen Kränzchen der Tonsur, ergriff das Wort. Seine Stimme war unangenehm, klang allzu heuchlerisch.
»Reinmar von Bielau. Sprich das Vaterunser und das
Ave.
«
Er sprach es. Mit leiser und etwas zitternder Stimme. Der Dominikaner bohrte währenddessen in der Nase und konzentrierte sich scheinbar vornehmlich auf das, was er daraus hervorbrachte.
»Reinmar von Bielau. Die weltliche Gerichtsbarkeit hat gegen dich ernstliche Anzeigen und Vorwürfe erhoben, du wirst ihr zur Untersuchung und zum Gericht überantwortet. Doch zuvor steht die
causa fidei
zur Entscheidung und Beurteilung. Du bist der Zauberei und der Häresie angeklagt. Beschuldigt, dass du Dinge bekennst und verkündest, die dem entgegenstehen, was die heilige Kirche bekennt und lehrt. Bekennst du dich schuldig?«
»Ich bekenne mich ni . . .«, Reynevan schluckte, »ich bekenne mich nicht schuldig. Ich bin unschuldig. Und ich bin ein guter Christ.«
»Ohne Zweifel«, der Dominikaner verzog verächtlich die Lippen. »Dafür hältst du dich, während du uns für böse und falsch hältst. Ich frage dich: Bekennst du dich oder hast du dich je zu einem anderen Glauben bekannt, als den, an den die römische Kirche zu glauben befiehlt und den sie lehrt? Bekenne die Wahrheit!«
»Ich sage die Wahrheit. Ich glaube daran, was Rom lehrt.«
»Weil deine ketzerische Sekte wohl in Rom einen Amtsbereich hat?«
»Ich bin kein Ketzer. Das kann ich beschwören!«
»Worauf? Auf mein Kreuz und meinen Glauben, die du verspottest? Ich kenne eure häretischen Kunststückchen! Bekenne: Wann bist du zu den Hussiten übergelaufen? Wer hat dich zu dieser Sekte gebracht? Wer hat dich mit den Schriften von Hus und Wyclif bekannt gemacht? Wann und wo hast du die Kommunion
sub utraque
empfangen?«
»Niemals . . .«
»Schweig! Du beleidigst Gott mit deinen Lügen! Hast du nicht in Prag studiert? Hast du Bekannte unter den Böhmen?«
»Ja, aber . . .«
»Also gibst du es zu?«
»Ja, aber nicht . . .«
»Schweig! Schreibt auf: Er sagt aus, dass er bekennt.«
»Ich bekenne nicht!«
»Er zieht sein Bekenntnis zurück.« Das Gesicht des Dominikaners verzog sich zu einer grausamen und zugleich erwartungsvollen Grimasse. »Er verstrickt sich in Lügen und Ränke! Mehr brauche ich nicht. Ich stelle den Antrag, die Folter anzuwenden, anders gelangen wir nicht zur Wahrheit.«
»Pater Gregor hat empfohlen«, der Bruder vom Heiligen Grabe räusperte sich unsicher, »man solle warten . . . Er will ihn selbst befragen . .
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