Narrenturm - Roman
Dass dich deine Hurerei ins Verderben stürzen wird.«
Reynevan schwieg, obwohl er, um Gott und der Wahrheit die Ehre zu geben, das selbst von sich gedacht und sich dasselbe prophezeit hatte, damals, in Prag, in der Altstadt, im »Drachen« in der Zeltnergasse, »Bei Barbara« in der Plattnergasse, in den von den Akademikern bevorzugten Hurenhäusern in den Gässchen hinter St. Niklas und St. Valentin, wo Gregor Hejncze, Student und kurz darauf Magister der Theologischen Fakultät der Karls-Universität, ein überaus häufiger und überaus fröhlicher Gast gewesen war. Reynevan hätte es nie im Leben für möglich gehalten, dass es der der Fröhlichkeit zugetane Gregor Hejncze lange im Priesterkleide aushalten würde. Aber offensichtlich hatte er es ausgehalten. Und zu meinem Glück, dachte er, während er seinen Fuß und seine Wade massierte. Die, wäre die Rettung nicht gekommen, der mit den Schrauben versehene Stiefel schon längst zu einer blutigen Masse geformt hätte.
Wenn er sich auch durch die wundersame Rettung erleichtert fühlte, so beherrschte ihn doch immer noch eine wildeAngst, die ihm die Haare zu Berge stehen ließ und ihm den Rücken krümmte. Er wusste, dass dies hier noch nicht zu Ende war. Der wohlgestaltete, scharfäugige Dominikaner mit den dichten Brauen und der stark hervortretenden Kinnlade war allem Anschein zum Trotz keineswegs Gregor Hejncze, der lustige Kumpan aus den Prager Schenken und Bordellen. Das war – die Mienen, die die Mönche und Folterknechte beim Verlassen des Raumes aufsetzten, die Art, wie sie sich verbeugten, ließen keinen Zweifel daran zu – der Höherstehende, der Prior. Der Schrecken verbreitende Visitator des Heiligen Officiums, der
defensor et candor fidei catholicae,
Seine Hochwürden der
inquisitor a Sede Apostolica
der Diözese Breslau. Das durfte man nicht vergessen. Der schreckliche, nach Blut und Rost stinkende Stiefel lag nur zwei Schritte weit entfernt, dort, wo der Folterknecht ihn hingeworfen hatte. Der Folterknecht konnte jeden Moment gerufen, der Stiefel wieder angelegt werden. Reynevan machte sich keine Illusionen.
»Es ist nichts so schlimm, dass sich nicht auch etwas Gutes dabei findet«, beendete Gregor Hejncze das kurze Schweigen. »Ich hatte nicht vor, bei dir die Tortur anwenden zu lassen, Kamerad. Dann hättest du bei deiner Rückkehr in den Turm keine Spuren davon getragen, keine Zeichen aufgewiesen. Und jetzt kommst du hinkend zurück, schmerzhaft gequält durch die schreckliche Inquisition. Du wirst kein Misstrauen erregen. Und das, mein Lieber, solltest du auch keinesfalls.«
Reynevan schwieg. Den Ausführungen hatte er zunächst nur entnommen, dass er zurückkehren würde. Alles Übrige drang mit Verzögerung in sein Bewusstsein – erfüllte ihn erneut mit dem für nur einen Moment beruhigten Schrecken.
»Ich werde etwas essen. Bist du hungrig? Magst du einen Hering?«
»Nein . . . Für einen Hering . . . danke ich.«
»Etwas anderes kann ich dir nicht anbieten. Wir haben Fastenzeit, und in meiner Position muss ich mit gutem Beispiel vorangehen.«
Gregor Hejncze klatschte in die Hände und erteilte seine Befehle. Fastenzeit hin, Fastenzeit her, Beispiel hin, Beispiel her, aber die Fische, die man ihm brachte, waren viel fettiger und doppelt so groß wie die, die man den Pensionären im Narrenturm gab. Der Inquisitor murmelte ein kurzes
Benedic, Domine,
und ohne weiter abzuwarten, begann er, den Hering zu verspeisen, seinen salzigen Geschmack mit dick geschnittenem Roggenbrot mildernd.
»Kommen wir zur Sache«, begann er, ohne aufzuhören zu essen. »Du bist in Bedrängnis, Kamerad. In schwerer Bedrängnis. Die Ermittlungen, die deine angebliche Zauberwerkstatt in Oels betreffen, habe ich zwar eingestellt, schließlich kenne ich dich und fördere die Entwicklung der Medizin, aber Gottes Odem streift, wen er will, da hilft nichts, auch die Entwicklung der Medizin geschieht nicht ohne seinen Willen. Das Vergehen des
adulterium
ekelt mich zwar an, aber mit dessen Verfolgung will ich mich nicht abgeben. Was deine anderen angeblichen, weltlichen Verbrechen anbelangt, gestatte ich mir, nicht daran zu glauben. Schließlich kenne ich dich.«
Reynevan atmete auf. Doch zu früh.
»Bleibt aber, Reinmar, die
causa fidei.
Die Religion und der katholische Glauben. Ich bin mir nicht sicher, ob du da nicht etwa die Ansichten deines verstorbenen Bruders teilst, und zwar, um es ganz deutlich zu sagen, im Hinblick auf
Unam Sanctam,
die
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