Narrenturm - Roman
.«
»Zeitverschwendung!« Der Dürre lachte. »Außerdem, wenn er weich geworden ist, wird er gesprächiger.«
»Wir haben«, stotterte der zweite Dominikaner, »momentan wohl keinen freien Platz . . . Und beide Meister sind beschäftigt . . .«
»Nebenan ist ein spanischer Stiefel, Schrauben festzudrehen ist keine Kunst, das kann auch ein Gehilfe. Und wenn es nötig ist, mache ich das selbst. Holla, weiter! Nur her! Ergreift ihn!«
Der vor Angst halb tote Reynevan fand sich in den wie aus Bronze gegossenen Fäusten der Knechte wieder. Sie schleppten ihn hinaus und schoben ihn in die Kammer nebenan. Bevor er den Schrecken und den Ernst der Situation überhaupt erfasst hatte, saß er schon auf einem eichenen Stuhl, Hals und Hände in eisernen Fesseln, und ein kahl geschorener Folterknecht mit einem Lederschurz befestigte an seinem linken Bein ein schreckliches Instrument. Es erinnerte an einen beschlagenen Kasten, war groß, schwer und stank nach Eisen und Rost. Und auch nach getrocknetem Blut und faulendem Fleisch. Ein Gestank, wie ihn unbrauchbar gewordene Metzgerblöcke verströmen.
»Ich bin unschuldig!«, schrie er. »Unschuldiiiiiig!«
»Weiter.« Der dürre Dominikaner nickte dem Henkersknecht zu. »Tut, was Eures Amtes ist.«
Der Folterknecht bückte sich, etwas Metallisches klapperte, etwas knirschte. Reynevan brüllte vor Schmerz, als er spürte, wie die metallbeschlagenen Bretter ihm den Fuß zusammendrückten und quetschten. Plötzlich erinnerte er sich an den Institor und wunderte sich nicht mehr. Er war kurz davor, in die Hosen zu machen.
»Wann bist du zu den Hussiten übergelaufen? Wer hat dir Wyclifs Schriften gegeben? Wann und von wem hast du die häretische Kommunion empfangen?«
Die Schrauben knirschten, der Henkersknecht stöhnte. Reynevan brüllte.
»Wer ist dein Komplize? Mit wem aus Böhmen nimmst duKontakt auf? Wo trefft ihr euch? Wo verbirgst du Ketzerbücher, Schriften und Postillen? Wo habt ihr Waffen versteckt?«
»Ich bin uuunschuuuldiiiiig!«
»Fester schrauben.«
»Bruder«, sagte der Bruder vom Heiligen Grabe, »nimm Rücksicht. Das ist ein Edelmann . . .«
»Ihr maßt Euch ein wenig zu sehr die Rolle des Advokaten an.« Der Dominikaner bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Ich erinnere Euch daran, Ihr solltet schweigen und Euch nicht einmischen. Fester schrauben!«
Reynevan erstickte fast an seinem eigenen Schrei.
Und wie im Märchen hatte jemand diesen Schrei vernommen und griff ein.
»Ich hatte doch darum gebeten«, sagte dieser jemand, der in der Tür stand und sich als ansehnlicher Dominikaner um die dreißig erwies, »ich hatte doch darum gebeten, dies nicht zu tun. Ihr sündigt durch Euren Übereifer, Bruder Arnulf. Und was noch schlimmer ist, durch einen Mangel an Gehorsam.«
»Ich . . . Hochwürden . . . Verzeiht . . .«
»Hinweg mit Euch. In die Kapelle. Betet und wartet in Demut, bis die Gnade der Erleuchtung über Euch kommt. Ihr dort, macht den Gefangenen los, aber rasch. Weiter, weiter, hinaus! Alle!«
»Ehrwürdiger Pater . . .«
»Ich habe gesagt alle!«
Der Inquisitor setzte sich an den Tisch, auf den Platz, den Bruder Arnulf geräumt hatte, und schob das ihn störende Kruzifix etwas zur Seite.
Wortlos wies er auf die Bank. Reynevan stand auf, stöhnte, jammerte, hinkte herbei und setzte sich. Der Dominikaner steckte die Hände in die Ärmel des weißen Habits, betrachtete ihn lange, aus Augen, die unter eckigen, bedrohlich aussehenden, zusammengewachsenen Brauen lagen.
»Du bist mit der Glückshaube geboren«, sagte er schließlich, »Reinmar von Bielau.«
Reinmar bestätigte durch ein Kopfnicken, dass er dies wusste. Man konnte darüber nicht diskutieren.
»Du hattest Glück«, meinte der Inquisitor, »dass ich gerade vorbeigekommen bin. Noch zwei, drei Drehungen mit der Schraube . . . Weißt du, was dann gewesen wäre?«
»Ich kann es mir vorstellen . . .«
»Nein, das kannst du nicht, das versichere ich dir. Ach, Reynevan, Reynevan, hier müssen wir uns also wiedersehen . . . In der Folterkammer! Obwohl, um Gott und der Wahrheit die Ehre zu geben, das hätte man auch schon damals während des Studiums voraussehen können . . . Die freigeistigen Ansichten, der Hang zur Schwelgerei und zum Trunk, von den leichten Mädchen ganz zu schweigen . . . Zum Teufel, schon damals, als ich dich in Prag, in der Altstadt, im ›Drachen‹ in der Zeltnergasse, gesehen habe, habe ich dir prophezeit, dass dich der Henker dafür strafen wird.
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