Narrenturm - Roman
ihn nach dem Grund seiner schroffen Reaktion. Horn wollte zunächst nicht reden, sondern begnügte sich mit ein paar Schimpfwörtern und kräftigen Flüchen auf die verdammten, primitiven Inquisitoren. Als er jedoch sah, dass dies Reynevan nicht genügte, setzte er sich auf einen umgestürzten Baumstamm und rief seinen Hund.
»Deren ganze Häresie, Lancelot«, begann er leise zu erklären, »geht mich so viel an wie der Schnee vom letzten Jahr. Nur ein Narr, und so einer bin ich nicht, würde nicht bemerken, dass dies ein
signum temporis
ist und dass es Zeit wird, daraus Schlüsse zu ziehen. Dass es sich vielleicht lohnt, etwas zu verändern. Zu reformieren. Ich versuche zu verstehen. Und ich kann verstehen, dass es sie aufbringt, wenn sie hören, dass es Gott nicht gibt und dass man auf die Zehn Gebote pfeifen kann und Luzifer verehren soll. Ich verstehe sie, wenn sie bei einem solchen
dictum
Häresie schreien. Aber was zeigt sich noch? Was bringt sie am meisten auf? Nicht Apostasie und Gottlosigkeit, nicht die Ablehnung der Sakramente, nicht die Revision der Dogmen oder deren Ablehnung, nicht die Dämonenbeschwörung. Am meisten regt sie die Forderung nach Armut auf, wie das Evangelium sie verkündet. Nach Demut. Nach Aufopferung. Nach Dienst. An Gott und den Menschen. Sie geraten in Wut, wenn man von ihnen verlangt, Macht und Geld aufzugeben. Deswegen haben sie sich wie Furien auf die
bianchi,
auf die Humiliaten, die Bruderschaft Gerhard Grootes, die Beginen und Begarden und auf Hus gestürzt. Verdammt, es ist ein Wunder, dass sie
Poverello
, Franziskus, den Armenprediger, nicht verbrannt haben! Aber ich befürchte, dass tagtäglichwieder ein Scheiterhaufen brennt und darauf irgendein namenloser, unbekannter
Poverello
.«
Reynevan nickte.
»Deshalb regt mich das so auf«, schloss Horn.
Reynevan nickte wieder. Urban Horn betrachtete ihn aufmerksam. »Da bin ich doch wieder ins Schwatzen gekommen«, sagte er gähnend. »Aber so ein Geschwätz kann gefährlich sein. Es hat sich schon mehr als einer seiner zu langen Zunge wegen, wie man so sagt, um Kopf und Kragen geredet . . . Aber ich vertraue dir, Lancelot, du weißt nicht einmal, warum.«
»Doch, ich weiß es.« Reynevan lächelte gezwungen. »Wenn du den Verdacht hättest, ich würde dich anschwärzen, haust du mir eins über den Schädel, und in Strehlen erzählst du dann, ich sei an einem plötzlichen Andrang von Fluidum und Launen gestorben.«
Urban Horn lachte. Wie ein wilder Wolf.
»Horn?«
»Ja, Lancelot?«
»Man merkt gleich, dass du ein erfahrener und weitgereister Mann bist. Weißt du nicht zufällig, welcher von den Mächtigen Güter in der näheren Umgebung von Brieg hat?«
»Warum diese Neugier?« Urban Horns Augen verengten sich. »Das ist gefährlich in der heutigen Zeit.«
»Ganz einfach. Aus Neugier.«
»Wie denn auch sonst!« Horns Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln, aber der Argwohn wich nicht aus seinen Augen. »Gut, so will ich deine Neugierde mit meinen bescheidenen Mitteln befriedigen. In der Gegend von Brieg, sagst du? Konradswalde gehört den Haugwitzern, Jankowice gehört den Bischofsheimern, Hermsdorf ist ein Gut derer von Gall . . . In Schönau, soweit mir bekannt ist, sitzt der Mundschenk Bertold von Apolda . . .«
»Hat einer von ihnen eine Tochter? Eine junge, blondhaarige . . .«
»So weit reichen meine Kenntnisse nicht«, unterbrach ihn Horn. »Und sollten es wohl auch nicht. Ich rate dir ab, Lancelot, die übliche Neugier können die Herren Ritter ertragen, aber sie mögen es überhaupt nicht, wenn sich einer zu sehr für ihre Töchter interessiert. Und für ihre Frauen . . .«
»Ich habe verstanden.«
»Dann ist es ja gut.«
Siebtes Kapitel
in dem Reynevan und seine Reisegefährten am Vorabend von Mariä Himmelfahrt in Strehlen ankommen, und zwar, wie sich erweist, zu einer Verbrennung. Dann hören die, die es sollen, die Lehren des Kanonikus der Breslauer Kathedrale. Die einen mit größerer, andere mit geringerer Lust.
H inter dem Dorfe Höckricht, in der Nähe von Wansen, füllte sich der bis dahin leere Weg. Außer Fuhrwerken von Bauern und Wagen von Kaufleuten fanden sich auch Pferde und Bewaffnete ein, so dass es Reynevan für angebracht hielt, die Kapuze über den Kopf zu ziehen. Hinter Höckricht zog sich die Straße malerisch unter Birken dahin, leerte sich wieder, und Reynevan atmete auf. Allerdings zu früh.
Beelzebub bewies wieder einmal seine große Hundeschläue. Hatte er bisher die
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