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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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deutlich zum Ausdruck, wem sie ihre lästerliche Ehre erweisen. Na, und natürlich die Hussiten, die Feinde der Wahrheit, der Kirche und des Papstes . . .«
    »Und was das Seltsamste ist«, warf Urban Horn mit einem Lächeln ein, »all jene, die Ihr genannt habt, wähnen sich im Besitz der Wahrheit und halten die anderen für ihre Feinde. Was den Heiligen Vater anbelangt, so müsst Ihr doch zugeben, Herr Pfarrer, dass es manchmal schwer fällt, unter den vielen den richtigen auszuwählen. Was hingegen die Kirche betrifft, so schreien doch alle einmütig nach der Notwendigkeit von Reformen,
in capite et in membris.
Macht Euch das nicht nachdenklich, Hochwürden?«
    »Ich verstehe Eure Worte nicht ganz«, bekannte Philip Granciszek. »Aber wenn es Euch darum geht, dass die Häresie ausdem Schoß der Kirche selbst erwächst, habt Ihr Recht. Viele sind dieser Sünde nahe, die im Glauben fehlen und es in ihrem Hochmut mit der Frömmigkeit übertreiben.
Corruptio optimi pessima!
Lasst mich da nur den
casus
der Flagellanten anführen. Papst Clemens VI. hat sie schon 1349 zu Häretikern erklärt, sie verdammt und bestrafen lassen, aber hat es geholfen?«
    »Nichts hat geholfen«, erklärte Horn. »Sie sind weiterhin durch ganz Deutschland gezogen, zum Ergötzen aller, denn die Weiber unter ihnen, und das waren nicht wenige, haben sich mit nacktem Oberkörper und entblößten Brüsten gegeißelt. Mit manchmal sehr hübschen Brüsten, ich weiß, wovon ich rede, ich habe ihre Prozessionen in Bamberg, in Goslar und in Fürstenwalde gesehen. Oh, denen sind die Brüste vielleicht gehüpft! Das letzte Konzil hat sie erneut verdammt, aber das bringt auch nichts. Sobald eine neue Seuche oder eine andere Katastrophe über uns hereinbricht, beginnen die Flagellantenprozessionen von neuem. Die mögen das ganz einfach.«
    »Ein gelehrter Meister in Prag«, Reynevan mischte sich verträumt in die Diskussion ein, »hat bewiesen, dass das eine Krankheit ist. Dass einige Frauen dabei Glückseligkeit empfinden, wenn sie sich nackt vor aller Augen auspeitschen. Deswegen gab und gibt es auch so viele Frauen unter den Flagellanten.«
    »Sich in der heutigen Zeit auf Prager Meister zu berufen, ist nicht gerade ratsam«, meinte Pfarrer Philip. »Aber da ist wohl was dran. Die Brüder Prediger haben bewiesen, dass viel Böses durch die körperliche Wollust kommt, und die der Weiber ist unersättlich.«
    »Die Weiber lasst lieber in Ruhe«, ließ sich Dorothea Faber plötzlich vernehmen. »Ihr selbst seid auch nicht ohne Sünde.«
    »Im Paradiesgarten«, entgegnete Granciszek vorwurfsvoll, »hat die Schlange das Wort nicht an Adam, sondern an Eva gerichtet, und sie wusste genau, was sie tat. Auch die Dominikanerwerden wissen, wovon sie sprechen. Aber es ging mir nicht darum, über Frauenzimmer zu reden, sondern darüber, dass vielen häretischen Bestrebungen die Lust und das Verlangen zugrunde liegt, und zwar mit einer geradezu äffischen Verderbtheit: Die Kirche verbietet’s, also tun wir’s gerade! Die Kirche befiehlt Bescheidenheit? Na, dann zeigen wir eben den nackten Hintern! Sie ruft zur Enthaltsamkeit und Sittsamkeit auf? Dann los, wie die rolligen Katzen im März! Die Pikarden und die Adamiten in Böhmen laufen vollkommen nackt herum und treiben’s jeder mit jedem, suhlen sich in der Sünde wie die Hunde, nicht wie Menschen. Ähnlich haben es die Apostoliker getrieben, die Segarelli-Sekte. Die Kölner
condormientes,
will heißen die ›Zusammenschläfer‹, treiben körperliche Liebe miteinander, ohne Rücksicht auf Geschlecht oder Verwandtschaft. Die Paternianer, genannt nach ihrem unwürdigen Apostel Paternus von Paphlagonien, erkennen das Sakrament der Ehe nicht an, was sie nicht daran hindert, sich der allgemeinen Wollust hinzugeben, insbesondere der, die eine Empfängnis unmöglich macht.«
    »Interessant«, sagte Urban Horn nachdenklich.
    Reynevan errötete, aber Dorothea prustete los und zeigte damit, dass ihr dies nicht ganz fremd war.
    Der Wagen rollte mit einem so jähen Ruck über ein Schlagloch, dass Rabbi Hiram erwachte und sich der gerade zu einem neuen Sermon ansetzende Pfarrer Granciszek fast die Zunge abgebissen hätte. Dorothea Faber trieb den Wallach zungen- und zügelschnalzend an. Der Pfarrer setzte sich wieder auf dem Kutschbock zurecht.
    »Es gab und gibt auch andere«, sagte er dann, seinen Vortrag fortsetzend, »die genau mit derselben Sünde behaftet sind wie die Flagellantinnen, mit der übertriebenen

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