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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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unternommen. Obwohl er nahezu untrügliche Beweise hatte, dass die Sterz’ in Familienfehde und Mord verwickelt sind, unternimmt Bischof Konrad keinerlei rechtliche Schritte. Ist dem so?«
    »Genau so«, antwortete Guibert Bancz, der Sekretär des Bischofs von Breslau, ein junger Kleriker mit hübschem Gesicht,reinem Teint und sanften, samtenen Augen. »So ist es beschlossen. Keine Schritte gegen die Familie von Sterz. Keine Ermahnungen. Keine Verhöre. Das hat der Bischof in Anwesenheit Seiner Hochwürden, des Weihbischofs Tilman, beschlossen. Und im Einvernehmen mit jenem Ritter, dem die Sache anvertraut wurde. Jenem, der heute früh in Breslau angekommen ist.«
    »Der Ritter«, wiederholte der Kanonikus und betrachtete das Bild, welches das Martyrium des heiligen Bartholomäus darstellte und das zusammen mit dem Wandbrett, auf dem die Leuchter und das Kruzifix standen, den einzigen Schmuck der rauhen Wände der Kammer bildete. »Der Ritter, der heute früh in Breslau angekommen ist.«
    Guibert Bancz schluckte. Die Situation war für ihn schlicht und einfach nicht die beste. War es noch nie gewesen. Und nichts deutete darauf hin, dass sich das jemals ändern würde.
    »Eben!« Otto Beess trommelte mit den Fingern auf den Tisch, wie es schien ausschließlich auf den von den Armeniern gemarterten Heiligen konzentriert. »Eben! Was ist das für ein Ritter, mein Sohn? Sein Name? Sein Geschlecht? Sein Wappen?«
    »Hrrmm.« Der Kleriker räusperte sich. »Sein Name und sein Geschlecht sind nicht genannt worden . . . Ein Wappen trug er nicht, er war ganz in Schwarz gekleidet. Aber ich habe ihn schon früher beim Bischof gesehen.«
    »Wie sah er da aus? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«
    »Er war nicht alt. Hoch gewachsen, schlank . . . Schwarzes Haar bis zu den Schultern. Eine lange Nase, wie ein Schnabel . . .
Tandem,
sein Blick wie der eines Vogels . . . Durchdringend . . .
In summa,
schön kann man ihn nicht nennen . . . Aber mannhaft . . .«
    Guibert Bancz brach plötzlich ab. Der Kanonikus wandte seinen Kopf nicht, er hörte auch nicht auf, mit den Fingern zu trommeln. Er kannte die geheimen erotischen Vorlieben desKlerikers. Und weil er sie kannte, hatte er ihn gezwungen, sein Informant zu werden.
    »Sprich weiter!«
    »Jener Ritter also, der   – unter uns gesagt   – in Anwesenheit des Bischofs weder die geringste Unterwürfigkeit noch Schüchternheit zeigte, erstattete Bericht über die Untersuchung der Morde an den Herren Bart von Karzen und Peter von Bielau. Der Bericht fiel so aus, dass Seine Hochwürden, der Weihbischof, sich einem Moment lang nicht mehr beherrschen konnte und zu lachen begann . . .«
    Otto Beess hob wortlos die Brauen.
    »Jener Ritter behauptete, die Juden seien schuld daran, denn an den Orten des Verbrechens habe man den
foetor judaicus,
den Judengestank wahrgenommen . . . Um sich jenes Gestanks zu entledigen, trinken die Juden, wie allen bekannt ist, Christenblut. Der Mord, führte der Ankömmling weiter aus, ohne sich im Geringsten darum zu kümmern, dass der hochwürdige Herr Tilman vor Lachen fast platzte, trage also rituellen Charakter, und die Schuldigen seien in den umliegenden jüdischen Gemeinden zu suchen, besonders in der von Brieg, denn man habe den Rabbiner von Brieg in der Gegend von Strehlen gesehen, und zwar in Gesellschaft des jungen Reinmar von Bielau . . ., der, wie Euer Hochwürden wissen . . .«
    »Ich weiß. Sprich weiter.«
    »Auf ein solches
dictum
hin erklärte der hochwürdige Weihbischof Tilman, das sei ein Märchen, denn beide Ermordeten seien von Schwertstreichen gefallen. Herr Albrecht von Bart sei ein kräftiger Mann und ein kühner Fechter gewesen. Kein Rabbi, weder der von Brieg noch einer von anderswo, wäre mit Herrn Bart fertig geworden, selbst wenn sie sich um den Talmud geschlagen hätten. Und dann lachte er wieder, dass ihm die Tränen kamen.«
    »Und der Ritter?«
    »Der sagte, wenn nicht die Juden die guten Herren Albrecht von Bart und Peter von Bielau erschlagen hätten, dann hättedas der Teufel getan. Was unterm Strich auf dasselbe herauskomme.
    »Was meinte Bischof Konrad dazu?«
    »Seine Gnaden«, krächzte der Kleriker, »durchbohrte den ehrwürdigen Tilman mit einem Blick wie ein Blitz, er war über dessen Erheiterung sichtlich nicht erfreut. Und dann sprach er. Sehr streng, sehr ernst und amtlich, und mir befahl er es aufzuschreiben . . .«
    »Er hat die Untersuchung eingestellt!« Der Kanonikus kam ihm zuvor und betonte

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