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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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es waren Zeiten, in denen der Geheilte manchmal den Arzt denunzierte.
    Mit einem Räuspern riss ihn der Prior aus seinen Gedanken.
    »Also nur um dieser einen Sache willen«, er hob den Brief des Breslauer Kanonikus in die Höhe, »hast du auf meine Rückkehr gewartet, junger Mann? Ganze vier Tage? Obwohl du wusstest, dass der Pater Guardian für die Zeit meiner Abwesenheit alle Vollmachten hat?«
    Reynevan begnügte sich mit einem Kopfnicken. Sich auf die Bedingung zu berufen, dem Prior den Brief persönlich zu überbringen, war so einfallslos, dass es keiner Erwähnung bedurfte. Was jedoch die vier Tage anbelangte, die er in einemDorf bei Striegau verbracht hatte, so waren auch sie keiner Erwähnung wert, so rasch waren sie verflogen. Wie ein Traum. Denn seit der Tragödie von Balbinow wandelte Reynevan immer noch wie in einem Traum umher. Erstarrt, verwirrt und nur halb bei Bewusstsein.
    »Du hast gewartet«, der Prior versicherte sich dieser Tatsache, »um mir den Brief eigenhändig zu überbringen. Und weißt du was, junger Mann? Sehr gut, dass du gewartet hast.«
    Reynevan gab auch diesmal keinen Kommentar dazu ab. Der Prior nahm den Brief wieder auf und hielt ihn sich diesmal direkt unter die Nase.
    »Jaaaa«, sagte er schließlich gedehnt, hob den Blick und zwinkerte. »Ich wusste, der Tag wird kommen, an dem mich der ehrwürdige Kanonikus an meine Schuld gemahnt. Und an die Bezahlung. Mit Wucherzins. Den, unter uns gesagt, die Kirche verbietet. Das Lukas-Evangelium sagt: Borget, ohne dafür zu verlangen. Glaubst du, junger Mann, ohne Einschränkung an das, was unsere Mutter Kirche uns glauben heißt?«
    »Ja, ehrwürdiger Vater.«
    »Das ist eine löbliche Tugend. Besonders in der heutigen Zeit. Besonders an einem Ort, wie diesem hier. Weißt du, wo du bist? Weißt du, was das für ein Ort ist? Außer einem Kloster? Du weißt es nicht, der Prior entnahm dies seinem Schweigen, oder du verbirgst geschickt, dass du es weißt. Dies ist ein Haus für Demeriten, für straffällige Geistliche. Was ein Demeritenhaus ist, weißt du sicher auch nicht, oder gibst ebenso geschickt vor, es nicht zu wissen. So sage ich dir also: Es ist ein Gefängnis.«
    Der Prior schwieg, flocht seine Hände ineinander und blickte seinen Besucher aufmerksam an. Reynevan hatte selbstverständlich längst erraten, was es damit auf sich hatte, aber er ließ es nicht erkennen, da er dem Karmeliter das Vergnügen nicht nehmen wollte, das ihm die Art, das Gespräch zu führen, sichtlich bereitete.
    »Weißt du«, fuhr der Mönch nach einer Weile fort, »worumSeine Ehrwürden, der Kanonikus, sich erlaubt, mich in diesem Brief zu bitten?«
    »Nein, ehrwürdiger Vater.«
    »Diese Unkenntnis entschuldigt dich in gewisser Weise. Aber da ich es weiß, kann sie mich nicht entschuldigen.
Item
, wenn ich die Bitte ausschlage, wird meine Handlung entschuldigt. Was meinst du dazu? Ist meine Logik nicht der eines Aristoteles würdig?«
    Reynevan antwortete nicht. Der Prior schwieg. Sehr lange. Dann hielt er den Brief des Kanonikus in die Kerzenflamme, drehte ihn so, dass das Feuer ihn ganz ergriff und warf ihn auf den Boden. Reynevan sah zu, wie sich das Papier zusammenrollte, schwarz wurde und auseinander fiel. So werden meine Hoffnungen zu Asche, dachte er. Verfrüht, nutzlos und eitel. Vielleicht ist es ja besser, es kommt, wie es kommen muss.
    Der Prior erhob sich.
    »Geh zum Schaffner«, sagte er kurz und wie beiläufig. »Er soll dich speisen und tränken. Danach bemühst du dich in unsere Kirche. Dort wirst du den treffen, dem du begegnen sollst. Es wird Befehl erteilt werden, dass ihr das Kloster ungehindert verlassen könnt. Kanonikus Beess erwähnte in seinem Brief, dass ihr beide auf eine lange Reise geht. Ich meinerseits sage, es ist gut, dass euch die Reise weit fortführt. Es wäre, so meine ich, ein großer Fehler, wenn ihr in der Nähe bliebet. Oder zu früh zurückkehrtet.«
    »Danke, Euer Ehrwürden . . .«
    »Danke mir nicht. Sollte einer von euch auf den Gedanken kommen, mich vor der Abreise um meinen Segen für die Fahrt zu bitten, so verwerft diesen sogleich.«
     
    Das Essen bei den Striegauer Karmelitern war wirklich die reinste Gefängniskost. Allerdings war Reynevan immer noch viel zu niedergeschlagen und apathisch, als dass ihm irgendetwas gemundet hätte. Außerdem war er, geradeheraus gesagt, viel zu hungrig, um angesichts des Salzherings, der fettlosenGrütze und des Biers, das sich von Wasser nur durch die Färbung

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