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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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dabei jedes einzelne Wort. »Er hat ganz einfach die Untersuchung eingestellt.«
    »Als wäret Ihr dort gewesen. Der hochwürdige Weihbischof Tilman saß ganz still da und sagte kein Wort, aber seine Miene war seltsam. Bischof Konrad bemerkte dies und meinte wütend, das Recht sei auf seiner Seite, die Geschichte würde es weisen und zwar
ad maiorem Dei gloriam.
«
    »Das hat er gesagt?«
    »Mit genau diesen Worten. Deshalb, ehrwürdiger Vater, wendet Euch nicht an den Bischof, denn wenn in der Angelegenheit dieser beiden Verbrechen jemand das Wort ergreift, eine Petition einreicht oder fordert, dass die Untersuchung fortgeführt wird, verlangt der Besucher des Bischofs, darüber informiert zu werden.«
    »Das verlangt er?«, wiederholte Otto Beess. »Und was meint der Bischof dazu?«
    »Er hat genickt.«
    »Er hat genickt«, sagte der Kanonikus nachdenklich und nickte ebenfalls. »Na, na, Konrad, der Piast von Oels, hat genickt.«
    »Er hat genickt, ehrwürdiger Vater.«
    Otto Beess blickte wieder auf das Bild des gemartertern Bartholomäus, dem die Armenier mit großen Zangen die Haut in Streifen vom Leibe zogen. Wenn man der
Legenda aurea
des Jacobus de Voragine Glauben schenken könnte, hat sich über dem Ort des Martyriums ein wunderbarer Rosendufterhoben. Von wegen. Leiden stinkt. Über den Folterplätzen erheben sich Mief und Gestank. Über allen Henkers- und Folterplätzen. Auch über Golgatha. Auch da, darauf würde ich meinen Kopf verwetten, roch es nicht nach Rosen. Da herrschte, wie passend,
foetor judaicus.
    »Bitte, mein Junge, nimm.«
    Der Kleriker griff wie gewohnt zuerst nach dem Geldbeutel, dann aber zog er die Hand so rasch zurück, als hätte ihm der Kanonikus einen Skorpion gereicht.
    »Ehrwürdiger Vater . . .«, stammelte er, »ich tu das nicht für . . . nicht für lausige Groschen . . . Sondern weil ich . . .«
    »Nimm, mein Sohn, nimm«, unterbrach ihn der Kanonikus, eine weihevolle Beschützermiene aufsetzend. »Ich habe dir schon bei anderer Gelegenheit gesagt, der Informant muss seine Bezahlung annehmen. Man verachtet vor allem diejenigen, die umsonst den Zuträger spielen. Um einer Idee willen. Aus Wut und Hass. Ich habe dir schon gesagt: Judas hat mehr Verachtung dafür verdient, dass er so billig Verrat begangen hat.«
     
    Der Nachmittag war sonnig und warm, eine angenehme Abwechslung nach ein paar Tagen Regenwetter. Der Turm der Maria-Magdalenen-Kirche und die Dächer der Häuser glänzten in der Sonne. Guibert Bancz streckte sich. Beim Kanonikus hatte er gefroren. Die Stube war schattig, und von den Mauern her wehte es kalt.
    Außer seinem Amtssitz im Kapitelhaus auf der Dominsel besaß Präpositus Otto Beess in Breslau ein Haus in der Schustergasse, unweit vom Markt, und dort pflegte er für gewöhnlich all jene zu empfangen, über deren Besuche nicht geredet werden sollte, darunter natürlich auch Guibert Bancz. Guibert Bancz beschloss, die Gelegenheit zu nutzen. Er hatte keine Lust, zur Dominsel zurückzukehren; es war unwahrscheinlich, dass der Bischof seine Dienste vor der Vesper benötigen würde. Und von der Schustergasse war es nur ein Sprung bis zu einem Bierkeller hinter dem Hühnermarkt, den der Klerikergut kannte. In diesem Bierkeller konnte man einen Teil des vom Kanonikus erhaltenen Geldes ausgeben. Guibert Bancz glaubte fest daran: Wenn er das Geld ausgab, entledigte er sich auch der Sünde.
    An einer Brezel knabbernd, die er im Vorübergehen an einer Marktbude gekauft hatte, bog er, um den Weg abzukürzen, in einen engen Durchschlupf ein. Hier war es still und menschenleer, so leer, dass die Ratten, verwundert über das Auftauchen eines Menschen, vor seinen Füßen davonsprangen.
    Er hörte das Rascheln von Gefieder und einen Flügelschlag. Er wandte sich um und erblickte einen großen Mauerläufer, der sich ungeschickt auf dem Fries über einem zugemauerten Fenster niederließ. Er ließ die Brezel fallen, machte unwillkürlich einen Schritt zurück und stolperte dann rückwärts.
    Vor seinen Augen rutschte der Vogel, mit den Krallen scharrend, an der Mauer herunter. Er schien sich aufzulösen. Wuchs. Und veränderte seine Gestalt. Bancz wollte schreien, aber aus seiner verkrampften Kehle brachte er kaum einen Ton heraus.
    Dort, wo eben noch der Mauerläufer gewesen war, stand jetzt vor dem Kleriker ein Ritter, den er kannte. Hoch gewachsen, schlank, schwarzhaarig und schwarz gekleidet, mit durchdringendem Raubvogelblick.
    Bancz öffnete erneut den Mund, und wieder

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