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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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unterschied, und auch das nur unbeträchtlich, auch nur das Gesicht zu verziehen. Vielleicht war auch gerade Fastenzeit? Er wusste es nicht mehr.
    Er aß daher rasch und tüchtig, wobei ihm der greise Schaffner mit offensichtlicher Zufriedenheit zusah, zweifellos war er eher daran gewöhnt, dass seine Gäste mit viel geringerem Enthusiasmus den Speisen zusprachen. Kaum war Reynevan mit dem Hering fertig, als ihm der lächelnde Mönch einen weiteren, direkt aus dem Fass, reichte. Reynevan beschloss, diesen Akt der Freundschaft zu nutzen.
    »Euer Kloster ist ja eine wahre Festung«, sagte er, mit vollen Backen kauend. »Kein Wunder, ich weiß, wozu sie dient. Aber ihr habt doch keine bewaffneten Wachen? Ist von denen, die hier büßen, noch nie jemand geflohen?«
    »Ach, Söhnchen, Söhnchen.« Der Schaffner schüttelte den Kopf über so viel Naivität und Dummheit. »Fliehen? Wozu denn? Vergiss nicht, wer hier büßt. Für jeden von ihnen geht die Buße einmal zu Ende Und obwohl keiner von den Insassen
pro nihilo
büßt, tilgt doch das Ende der Buße seine Schuld.
Nullum crimen,
alles kommt wieder ins Lot. Und ein Flüchtiger? Er würde das Ende seiner Tage heraufbeschwören.«
    »Ich verstehe.«
    »Das ist gut, denn ich darf darüber nicht reden. Willst du noch Grütze?«
    »Gern. Aber jene Büßer, nur so aus Neugier, wofür büßen sie? Für welche Vergehen?«
    »Darüber darf ich nicht sprechen.«
    »Ich frage ja nicht nach konkreten Fällen. Nur so allgemein.«
    Der Schaffner räusperte sich und blickte furchtsam um sich, als wüsste er, dass im Demeritenhaus auch die mit Bratpfannen und Knoblauch behängten Wände der Küche Ohren hatten.
    »Oh!«, sagte er leise und wischte sich die fettigen Heringsfinger an seinem Habit ab. »Für ganz unterschiedliche Vergehen büßen sie hier, Söhnchen, für ganz unterschiedliche. Hauptsächlichlasterhafte Priester. Und Mönche. Solche, denen die Gelübde zu schwer geworden sind. Du kannst dir wohl vorstellen: das Gelübde der Gehorsamkeit, der Demut, der Armut . . . Auch Abstinenz und Mäßigkeit . . . Wie man so sagt:
plus bibere, quam orare.
Auch das Gelübde der Reinheit, leider . . .«
    »Femina«,
erriet Reynevan,
»instrumentum diaboli?«
    »Wenn’s doch nur
femina
wäre . . .«, seufzte der Schaffner und hob die Augen. »Ach, ach . . .« Dann fuhr er fort: »Diese Unzahl an Sünden, diese Unzahl . . . Das kann man keineswegs leugnen . . . Aber wir haben hier auch ernstere Fälle . . . Oh, viel ernstere . . . Aber darüber darf ich nicht reden. Bist du fertig mit dem Essen, Söhnchen?«
    »Ich bin fertig. Danke. Das war lecker.«
    »Komm vorbei, sooft du willst.«
     
    Das Innere der Kirche war ungewöhnlich dunkel, der Schein der Kerzen und das Licht aus den schmalen Fenstern erreichte nur den Altar, das Tabernakel, das Kruzifix und ein Triptychon, das die Beweinung Jesu darstellte. Der Rest des Presbyteriums, das ganze Kirchenschiff, die hölzernen Emporen und das Gestühl versanken im dämmrigen Dunkel. Vielleicht ist das Absicht, kam es Reynevan in den Sinn, vielleicht, damit die Demeriten während der Gebete nicht die Gesichter der anderen erkannten, in ihnen nicht die fremden Sünden und Vergehen ablesen konnten. Und mit den eigenen vergleichen.
    »Hier bin ich.«
    In der klangvollen, tiefen Stimme, die von einer Nische inmitten des Gestühls herüberdrang, schwangen Ernst und Würde, dieses Eindrucks konnte man sich nicht erwehren. Aber wahrscheinlich war das nur das Echo, der Widerhall des Gewölbes, der sich an den steinernen Wänden brach.
    Reynevan trat näher.
    Über dem einen schwachen Geruch von Weihrauch und Firnis verströmenden Confessional thronte das Bild der heiligen Anna selbdritt mit Maria auf der einen und dem Jesuskind aufder anderen Seite des Schoßes. Reynevan sah das Bild, denn es wurde von einem Öllämpchen erhellt. Weil es nur das Bildnis anstrahlte, tauchte das Öllämpchen die Umgebung in ein noch schwärzeres Dunkel, auch von dem Mann, der im Innern des Beichtstuhles saß, nahm Reynevan lediglich die Umrisse wahr.
    »Dir also«, sagte der Mann, das Echo erneut zum Leben erweckend, »werde ich für die Möglichkeit danken müssen, mich wieder frei bewegen zu können, he? Dafür also Dank. Obwohl mir scheint, dass ich wohl eher einem gewissen Breslauer Kanonikus zu Dank verpflichtet bin, stimmt’s? Und einer Begebenheit . . . Nun sag schon, der Ordnung halber. Damit ich wirklich sicher sein kann, dass ich mit der rechten Person

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