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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Bruder Peter habe ich gut gekannt. Er war mit Zbylut, meinem Gatten, befreundet. Er war mehrmals bei uns auf Schalkau zu Gast. Er pflegte auf Pferden aus dem Schalkauer Gestüt zu reiten.«
    »Ihr sprecht von ihm in der Vergangenheit«, Reynevans Stimme senkte sich, »demnach wisst Ihr . . .«
    »Ich weiß.«
    Eine Zeit lang herrschte Schweigen, das Dzierżka de Wirsing brach.
    »Mein aufrichtiges Beileid«, sagte sie, und ihr ernstes Gesicht betonte ihre Aufrichtigkeit. »Das, was bei Balbinow geschehenist, ist auch für mich eine Tragödie. Ich kannte deinen Bruder und mochte ihn. Ich habe ihn immer für seine Vernunft und seinen nüchternen Blick geschätzt und dafür, dass er nie den aufgeblasenen Edelmann herausgekehrt hat. Was gibt’s da viel zu reden, dem Beispiel Peterlins folgend, hat auch mein Zbylut seinen ganzen Verstand zusammengenommen. Hat die Nase, die er früher nach Herrenart hoch trug, heruntergenommen zur Erde und geschaut, worauf er mit seinen Beinen stand. Und hat begonnen, Pferde zu züchten.«
    »Wie das?«
    »Wie wohl. Vorher war Zbylut von Schalkau ein Herr, ein Edelmann aus einer Familie, die in Kleinpolen berühmt, ja sogar um sieben Ecken mit den Melsztyńskis verwandt ist. Ein Ritter mit eigenem Wappen, einer von denen, ihr wisst schon: auf der Brust das Leliwa-Wappen und unter dem Wappen zerrissene Hosen. Bis dann Peter Bielau, genauso ein
miles mediocris
, stolz, aber arm, begonnen hat, ein Geschäft zu eröffnen, die Färberei und die Walkmühle aufzubauen und Meister aus Gent und Ypern kommen zu lassen. Und darauf zu pfeifen, was die anderen Ritter sagen, wenn er Geld verdient. Na und? Kurz darauf war er ein richtiger Herr, mächtig und reich, und die Wappenritter, die ihn bis dahin verachtet haben, haben sich vor ihm verbeugt, und aus ihren lächelnden Mündern tropfte der Speichel, dass er nur ja so edelmütig sein und ihnen Geld borgen wolle . . .«
    »Peterlin«, Reynevans Augen blitzten, »Peterlin hat Geld verliehen?«
    »Ich weiß, was du vermutest.« Dzierżka blickte ihn scharf an. »Aber ich bezweifle es. Peterlin hat sein Geld nur an Leute verliehen, die er gut kannte und die sicher waren. Wucherer können schnell bei der Kirche in Ungnade fallen. Peterlin hat einen geringen Prozentsatz genommen, nicht einmal die Hälfte dessen, was die Juden verlangen, aber es ist nicht leicht, sich vor Zuträgern zu schützen. Was deine Vermutung anbelangt . . . Ha, es gibt immer welche, die bereit sind zu morden, weil sieihre Schulden nicht bezahlen können oder wollen. Aber diejenigen, denen dein Bruder Geld geborgt hat, gehörten eher nicht zu der Sorte. Du bist auf der falschen Spur, lieber Anverwandter.«
    »Zweifellos.« Reynevan biss sich auf die Unterlippe. »Wozu soll ich Verdächtigungen anhäufen. Ich weiß, wer und warum man Peterlin ermordet hat. Ich habe in dieser Hinsicht keinen Zweifel.«
    Die nun einsetzende Stille beendete wiederum Dzierżka de Wirsing. »Es gehen Gerüchte um im Volke«, wiederholte sie. »Aber es wäre sehr unvernünftig, ja regelrecht dumm, nur ihretwegen auf Zwist und Rache zu sinnen. Ich sage das nur, falls ihr zufällig nicht zur Gottesmutter von Wartha unterwegs sein solltet, sondern andere Pläne und Absichten habt.«
    Reynevan tat so, als erfordere ein Wasserfleck am Sturzboden seine ganze Aufmerksamkeit. Scharley blickte mit der Miene eines unschuldigen Kindes drein.
    Dzierżka ließ beide nicht aus ihren nussbraunen Augen.
    »Was Peterlins Tod anbelangt«, fuhr sie nach einiger Zeit mit gesenkter Stimme fort, »so gibt es Zweifel. Und zwar berechtigte. Denn, merkt auf, eine seltsame Seuche verbreitet sich in Schlesien. Eine seltsame Pest ist über Unternehmer und Kaufherren gekommen, die auch den Leib von Rittern nicht verschont. Diese Leute sterben eines rätselhaften Todes . . .«
    »Herr Bart«, brummte Reynevan, »Herr Bart von Karzen . . .«
    »Herr von Bart.« Sie hatte den Namen gehört und nickte. »Und vorher Herr Czambor von Heißenstein. Und vor diesem zwei Waffenschmiede aus Ottmachau, die Namen habe ich vergessen. Thomas Gernrode, Meister der Riemenschneiderzunft von Neisse. Herr Fabian Pfefferkorn von der Falkenberger Bleihandelsgesellschaft. Und zuletzt, vor knapp einer Woche, Nikolaus Neumarkt, ein Schweidnitzer Tuchhändler. Eine wirkliche Seuche . . .«
    »Lass mich raten«, meldete sich Scharley zu Wort, »keinerder Erwähnten ist an den Pocken gestorben. Auch nicht an Altersschwäche.«
    »Du hast es erraten.«
    »Ich

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