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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Wald zu retten, aber kaum jemand kam ungeschoren davon.
    Nach einer Weile ebbte der Lärm etwas ab. Die Reiter beruhigten die angstvoll schnaubenden Pferde und hielten, den Kampfplatz durchquerend, Ausschau, wen man noch verprügeln könnte. Es war ein reichlich malerisches Pack, eine Gesellschaft, mit der man besser rechnete, als mit ihr Scherz zu treiben, das war schon auf den ersten Blick zu sehen, an der Kleidung, an der Rüstung, wie auch an den Gesichtern, die als verboten und gaunerhaft zu klassifizieren auch einem ungeübten Physiognomiker nicht schwer gefallen wäre.
    Reynevan stand auf. Und fand sich beinahe Auge in Auge mit einer Apfelschimmelstute wieder, auf der, von zwei Berittenen flankiert, eine kräftige, sympathisch rundliche Frau saß, ein Männerwams tragend und ein Barett auf den hellblonden Haaren. Unter dem mit einem Strauß Bienenfresserfedern geschmückten Barett blickten harte, unerbittliche, kluge nussfarbene Augen hervor.
    Scharley, der offensichtlich keine größeren Verletzungen davongetragen hatte, stand daneben und warf die kümmerlichen Reste seines Eschenholzstockes weg.
    »Alle guten Geister!«, rief er. »Ich glaub’, ich seh’ nicht richtig. Aber das kann doch keine Verwechslung, keine Erscheinung sein. Dzierżka von Schalkau höchstselbst. Das Sprichwort hat Recht: Die Berge begegnen sich nicht . . .«
    Die Apfelschimmelstute schüttelte den Kopf, dass die Ringe an der Trense klirrten. Die Frau klopfte ihr den Hals und schwieg noch immer, während sie den Demeriten mit einem prüfenden Blick aus ihren nussbraunen Augen musterte.
    »Du bist schmaler geworden«, sagte sie endlich. »Und dein Haar ein bisschen grauer, Scharley. Grüß dich. Aber jetzt fort von hier.«
     
    »Du bist schmaler geworden, Scharley.«
    Sie saßen am Tisch in dem geweißten, geräumigen Hinterzimmer der Wirtschaft. Ein Fenster ging auf den Garten hinaus, auf krumme Birnbäume, Sträucher mit schwarzen Johannisbeerenund summende Bienenstöcke. Vom zweiten Fenster aus sah man die Koppel, in die man die Pferde zu einer Herde zusammengetrieben hatte. In dem guten Hundert überwogen massive schlesische
dextrarii,
Pferde für die schwere Reiterei, es gab auch Kastilianer, Hengste aus spanischem Blut, Lanzenreiterpferde aus Großpolen, Arbeitspferde und Zugpferde. Außer dem Scharren der Hufe und dem Gewieher waren hin und wieder die Rufe und Flüche der Pferdeknechte, der Stallburschen und der Eskorte mit den verbotenen Gesichtern zu vernehmen.
    »Du bist schmaler geworden«, wiederholte die Frau mit den nussbraunen Augen. »Und den Kopf hat es dir wie mit Schnee gesprenkelt.«
    »Was soll man machen«, erwiderte Scharley mit einem Lächeln. »
Tacitisque senescimus annis.
Aber dir, Dzierżka von Schalkau, scheinen die Jahre Schönheit und Liebreiz zu mehren.«
    »Schmeichle mir nicht, und sprich mich nicht mit Titel an. Sonst fühle ich mich gleich wie ein altes Weib. Und von Schalkau heiße ich auch nicht mehr. Nach dem Tode Zbyluts habe ich meinen Mädchennamen wieder angenommen. Dzierżka de Wirsing.«
    »Ja, ja, Zbylut von Schalkau hat sich von dieser Welt verabschiedet, der Herr sei seiner Seele gnädig. Wie lange ist das jetzt her, Dzierżka?«
    »Am Tage der Unschuldigen Kindlein werden es zwei Jahre.«
    »Ja, ja. Ich dagegen war in dieser Zeit . . .«
    »Ich weiß«, unterbrach sie ihn und warf einen forschenden Blick auf Reynevan. »Du hast mir deinen Gefährten noch immer nicht vorgestellt.«
    »Ich bin . . .«, Reynevan zögerte einen Moment, dann entschied er, dass Lancelot vom Wagen Dzierżka de Wirsing gegenüber taktlos und vielleicht sogar riskant sein würde. »Ich bin Reinmar von Bielau.«
    Die Frau schwieg eine Zeit lang und maß ihn mit ihrem Blick.
    »Wahrhaftig«, erwiderte sie schließlich gedehnt. »Die Bergebegegnen sich nicht . . . Mögt ihr Biermus, Jungs? Sie machen hier ein ausgezeichnetes Biermus. Jedes Mal wenn ich herkomme, esse ich welches. Habt ihr Lust, es zu probieren?«
    »Aber sicher.« Scharleys Augen blitzten. »Gewiss doch. Danke, Dzierżka.«
    Dzierżka de Wirsing klatschte in die Hände, die Bedienung erschien sofort und tummelte sich. Die Pferdehändlerin musste hier ein wohl bekannter und geschätzter Gast sein, sicher war sie schon oft mit ihrer für den Pferdemarkt bestimmten Herde hier eingekehrt, hatte hier wohl schon manchen Gulden ausgegeben, in dieser Gastwirtschaft unweit der Schweidnitzer Straße, in der Nähe des Dorfes, dessen Name ihm entfallen war.

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