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Narrenwinter

Narrenwinter

Titel: Narrenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Komarek
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Hause?“
    „Haben Sie nach Hause gesagt? Paah!“ Schillers rechte Hand hob sich zur zornigen Geste.
    Käfer versuchte sich ein wenig nach vor zu schieben, ohne den Ärger der anderen zu erwecken. Dann wandte er sich dem sachte ansteigenden, von alten Häusern gesäumten Langbathtal zu und wartete. Schon war aus einiger Entfernung Musik zu hören. So klang also der Ebenseer Faschingsmarsch!
    Endlich wurden die ersten Fetzen sichtbar, über und über von bunten Stoffresten umflattert. Bald darauf war die ganze Horde da: Kinder vorerst, die
Pritschenmeister
, wie Käfer von Christine Köberl wusste, reitende Boten mit Pferde-Attrappen um die Hüften, Musikanten und dann Fetzen, Fetzen, Fetzen. Das Schauspiel war so ungezügelt und kraftvoll wie Käfer es auch in Aussee erlebt hatte – und doch ganz anders. Die Trommelweiber wirkten als fast schon bedrohliches Kollektiv. Die Fetzen hingegen zeigten grelles, höhnisches Aufbegehren, hemmungslose Vielfalt der Individualität. Die geschnitzten und bemalten Holzmasken vor den Gesichtern waren nicht symbolhaft starr, sondern verzerrten den Alltag variantenreich ins Groteske. Käfer erblickte bösen Biedersinn, hässliche Eitelkeit, grausamen Geiz, lächerliche Geilheit, plumpen Hochmut, kalte Schönheit, und, und … der Strom wollte nicht enden. Endlich die Hüte! Nicht Hüte waren es, sondern Gestalt gewordene Hirngespinste, wüste Träume und gelebte Begierden. Aus einem Gewirr von Tüll, Samt und Spitzen wuchsen Blumengestecke und anderer krauser Zierrat, darüber schwebten ausgestopfte Vögel. Im Gegensatz zu den Ausseer Trommelweibern suchten einzelne Fetzen immer wieder Kontakt mit den Zuschauern, drohten spielerisch, provozierten, neckten. Hoffentlich dachte Sabine daran, auch in Ebensee zu fotografieren …
    Käfer schaute sich suchend um. Sabine sah er nicht, wohl aber, vielleicht hundert Meter entfernt, Christine und Sieglinde Köberl. Käfer rief und winkte, wurde von den beiden aber offenbar nicht bemerkt. Er drängte sich durch die Menge und beeilte sich dann gegen den Strom des Fetzenzuges talaufwärts voranzukommen. Zwischendurch hielt er wieder Ausschau und sah, dass die zwei Frauen nunmehr eiligen Schrittes auf einer schmalen Brücke über den Langbathbach unterwegs waren. Käfer musste also auf die andere Straßenseite gelangen und geriet damit in nicht allzu ernste, aber zeitraubende Konflikte mit Fetzen, die sich von ihm gestört sahen. Als er die Brücke erreicht hatte, waren Christine und Sieglinde nicht mehr zu sehen. Langsam ging er weiter. Käfer kannte sich nicht aus in Ebensee, aber es war nicht schwer sich zurechtzufinden zwischen Kirche, Ufer, Berg und Traun. Zögernd wandte er sich talwärts, als ihm plötzlich ein vertrauter Geruch unangenehm deutlich in die Nase stieg: Pitralon. Käfer brauchte nicht lange nachzudenken – der Glatzkopf vor Köberls Haus!
    Und da stand er auch schon, die muskulösen Arme verschränkt, und versperrte den Weg. Käfer war erschrocken, aber auch ärgerlich. „Was soll das?“ Keine Antwort. „Eigenartiger Zufall, wie? Hat das vielleicht mit der Familie Köberl zu tun? Sagt Ihnen der Name Anna Hopfer was? Und ist der Herr stumm oder taub, oder beides?“ Käfer sah ein Zucken im Gesicht seines Gegenübers. Das war aber auch die einzige Reaktion.
    Verwirrt nahm Käfer wahr, dass sich nun in den Geruch des Rasierwassers Schnaps-Atem mischte. Jetzt erst bemerkte er, dass ein sichtlich angeheiterter Mann neben ihn getreten war, hagere Gestalt, hageres Gesicht, der Hut tief in die Stirn gezogen und auch noch schräg über das Ohr. Er hielt dem Glatzkopf grinsend eine geöffnete Schnapsflasche unter die Nase. Da kam Bewegung in die Szene. Ansatzlos schnellte ein tätowierter Arm hoch und traf das Handgelenk des Betrunkenen. Die Flasche fiel zu Boden und zerbrach. Unerwartet schnell und geschickt griff der Hagere nach einem Scherben und sprang auf den Glatzkopf zu, der ihn mit der rechten Hand stoppte, am Rockkragen packte und hochhob.
    Käfer nutzte die Gelegenheit, seinen Weg fortzusetzen. Christine und Sieglinde Köberl konnte er allerdings nicht mehr finden.

16
    Daniel Käfers Interesse an Ebenseer Folklore war abgekühlt. Er dachte auch mit einer gewissen Besorgnis an Eustach Schillers weiteres Schicksal. Ein närrischer Gendarm, melancholisch und aggressiv, unter Narren – ob das gut gehen konnte? Durchaus möglich andererseits, dass derartige Gestalten im Fasching besser ins Bild passten als ein nüchtern

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