Narrenwinter
beobachtender Journalist. Und warum hatte ihm der Glatzkopf den Weg versperrt? Was hatte er mit der Familie Köberl zu tun? Was wusste Anna über ihn? Käfer hätte gerne mit ihr vernünftig darüber geredet, doch er hatte so seine Zweifel daran, ob sie etwas Vernünftiges zu sagen bereit war, in diesen unvernünftigen Tagen. Und dieser sture Bock von Sepp nebst seiner allzeit treuen Christine fing an, ihn zu ärgern. Aber dieses Mittagessen heute gehörte zu den Erinnerungen, die er nicht missen wollte.
Käfer ertappte sich dabei, es recht angenehm zu finden, in einem wohlig warmen Auto unterwegs zu sein und Musik aus teuren Lautsprechern zu hören – Mozarts Hornkonzert Nr. 4 in Es-Dur. Sah so seine Zukunft aus? Wohltemperiert, diskret instrumentiert, etabliert, alles in allem? Er versuchte mit einem Tritt aufs Gaspedal Trotz zu demonstrieren, doch die Elektronik verhinderte das Durchdrehen der Räder. Also auch noch diskret diszipliniert und gemaßregelt?
Wieder in Aussee stellte er das Auto vor dem alten Kurmittelhaus ab und hielt nach Sabine Ausschau. Noch immer zogen die Trommelweiber durch die Stadt, vielleicht noch schwereren Schrittes als am Vormittag, der Trommelschlag ein wenig schleppend, der Faschingsmarsch nicht mehr aufwiegelnd, sondern von elegischem Leichtsinn getragen. Sabine war nicht zu sehen. Ob sie in Ebensee fotografierte? Plötzlich empfand Käfer Angst. Nicht auszuschließen, dass sie es in ihrer euphorischen Stimmung noch einmal gewagt hatte, sich schon wieder allzu intensiv mit Ausseer Maschkera-Gruppen einzulassen. Nach wie vor ging es in den Lokalen hoch her, Käfer ließ keines aus, doch nirgendwo konnte er seine Freundin finden. Er ging durch die Seitengassen und durch den Kurpark, kehrte zu seinem Auto zurück und überlegte, ob er die Suche fahrend fortsetzen sollte. Langsam näherte er sich der Traun. Er kannte den Weg, der zum Ausseer Elektrizitätswerk führte und weiter zum Bahnhof. „Schaut diesen Eigenbrötlern ähnlich“, überlegte er, „Privatstrom anstelle staatlicher Energieversorgung.“ Bald war eine Brücke erreicht. Käfer blieb ein paar Sekunden stehen und schaute ins klare Wasser, das hier ein hölzernes Stauwerk überströmte. Wenige Meter weiter zwang eine hohe Geländekante die Traun in eine starke Krümmung, und eine zweite Brücke überspannte den kleinen Fluss.
Als sich Käfer dem anderen Ufer näherte, sah er eine Gestalt, die durchaus Sabine sein konnte. Er ging schneller, erkannte sie tatsächlich und rief ihren Namen. Sabines Kopf fuhr herum, ihr Gesicht starrte ihm erschrocken entgegen. „Wie kommst du hier her, Daniel?“
„Ich habe dich überall gesucht.“ Jetzt stand er neben ihr und sah, dass sie nicht allein war. Vor ihren Füßen lag Hubert Schlömmer leblos im Schnee, der neben seinem Kopf rot gefärbt war.
„Sabine, um Himmels willen! Was ist passiert?“
„Später, Daniel. Er braucht sofort Hilfe.“ Sie suchte nervös nach dem Handy. „Wo ruf ich jetzt bloß an?“
„Nirgends.“ Hubert Schlömmer hatte die Augen geöffnet und tastete nach seiner Kopfwunde. Dann stand er ächzend auf und grinste. „Selber schuld. Ich geh mir das nähen lassen. Wenn der Doktor Musek zu Haus ist und nicht rauschig.“
Hubert tippte an seinen Hut, der erstaunlicherweise noch immer auf dem Kopf saß, und entfernte sich langsam. Sabine schaute ihm nach. „Du glaubst, wir können ihn einfach so gehen lassen, Daniel?“
„Die Frage stellt sich nicht. Der tut, was er will. Und was war jetzt?“
„Wir haben einander gegen Mittag getroffen. Er ist vorzeitig weg von den Trommelweibern, ausnahmsweise und mir zuliebe. Die Maria hat das Kostüm und die Trommel mit dem Auto abgeholt, und der Hubert und ich sind durch den Ort gezogen. War nett, und er hat mir wirklich geholfen, mit Hintergrundinformationen und so. Und dann wollte er mit mir noch einen ganz alten Musikanten und Faschingsbriefschreiber besuchen, der an der Bahnhofspromenade wohnt und nicht mehr aus dem Haus kann. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen. Hier, wo wir stehen, hat er mich plötzlich geküsst.“
„Frechheit. Aber deswegen gleich …“
„Deswegen nicht, Daniel. Hätte ihn die wilde Leidenschaft getrieben, mein Gott ja, so ein Mannsbild. Und der Versuch, zärtlich zu werden, wäre ihm vielleicht auch gerade noch gegönnt gewesen.“
„Sabine!“
„Tu nicht so. Aber der Kerl hat mich behandelt wie ein erlegtes Stück Wild, dem er den letzten Bissen ins Maul steckt. Da habe
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