Narrenwinter
In Aussee hat er nämlich vor dem Haus der Familie Köberl gelauert. Verschwörerischer Blick, der Finger auf den Lippen, Umzug zu einem Tisch am anderen Ende der Stube, zwei Gläser Schnaps auf Käfers Rechnung. Ja, der …, kein Wunder, wenn der lauert. Lauert immer und überall. Finger weg von dem, sag ich. Und prost!
Zurück zu den anderen, Käfer zahlt als Strafe für die Heimlichtuerei, trinkt, schaut sich um: Die drei Fetzen sind weg. Jetzt aber wirklich zum Bahnhof, gleich auch noch. Zustimmendes Nicken ringsum, alle brechen mit ihm auf. Aber am Weg zum Bahnhof gibt es noch ein Gasthaus, und in den Ebenseerwirt muss man einfach hinein, nur kurz, sonst sind sie beleidigt. Heftiges Sträuben, Käfer fühlt sich gepackt und in die Wirtsstube getragen, zahlt eine schnelle Runde, um sich frei zu kaufen, und darf zu seiner Überraschung wirklich gehen.
Schöne, klare, gläserne Kälte, das Licht malt Märchenbilder in den Schnee, Käfer schaut zum Himmel hinauf und gibt dem hellsten Stern feierlich den Namen Sabine. Der menschenleere Bahnhof, die Tafel mit den Abfahrtszeiten, ein Blick auf die Uhr: Der letzte Zug ist längst gefahren. Also gut, dann Taxi, was kostet die Welt. Vergebliche Suche. Die Leute im Ebenseerwirt werden helfen können. Schon von weitem ist Musik zu hören, Rockmusik diesmal. Käfer tritt ein, grinsende Gesichter ringsum, tröstende Rempler, ein volles Glas. Taxi? Ja, Taxi, das gibt’s. Gleich dann!
Die jungen Musiker halten nichts von verklärter Nostalgie, sie lassen es dröhnen, hämmern und kreischen, laut, schwer und schmutzig. Herrliche Musik … Käfer ist um Jahrzehnte jünger geworden, ein paar Tanzschritte, Applaus, ein Bier, ein Schluck, aber kein ängstlicher, es lebe der Suff. Anerkennendes Geraune ringsum, verwegenes Grinsen als Antwort, und noch ein Schluck. Anarchie ist die einzige wirkungsvolle Ordnungsmacht, denkt er, seltsam, wie wohltuend Gewalt sein kann, und er zuckt unter den Hieben des Schlagzeugs. Dann so ein junger Mensch neben ihm, blasses Gesicht, weiß fast, Sonnenbrillen, modischer Hut, schwarzer Anzug, Rüschenhemd. Ist doch nur für Gruftis hier, meint er, da gäb’s was Besseres. Aber dann ein Taxi? Na klar, Mann, zig Taxis, Hunderte, Tausende, Düsentaxis mit rosa Flügeln. Na, was ist? Abflug ins Tiki Taki? Tiki Taki? Klingt witzig irgendwie, direkt lustig, also gut. Das Lokal ist eine grellbunte Schuhschachtel, angefüllt mit Rhythmus und Musik weit jenseits der Schmerzgrenze. Viele junge Leute, kein Platz zum Sitzen, kaum Platz zum Stehen. Käfers Begleiter hebt die Hand und reibt den Zeigefinger am Daumen. Klar, ein Geldschein. Der Mann kommt mit zwei Gläsern wieder, Cola-Rum oder etwas in dieser Art. Käfer nippt angewidert, sein Gegenüber trinkt ex, grinst und geht. Käfer sieht niemand, mit dem er etwas anfangen könnte, trinkt sein Glas leer und steht dann allein auf der Straße.
Schön, diese Kälte, schön, diese Nacht, mit jedem Atemzug noch schöner. Er hört sich lachen, denkt, dass er irgendwo hingehen sollte, wo er noch in Ruhe etwas trinken kann, vor dem Taxi. Er geht los, taumelt bei den ersten Schritten, stützt sich an einem Zaun ab, murmelt danke mein Freund, nimmt sich zusammen und setzt langsam Schritt vor Schritt. Und da leuchtet ein Schild: Heimathafen. Das klingt gut. Gut, bieder und endgültig. Der Heimathafen hat was von einem Wartesaal zweiter Klasse. Im Hafen gestrandet, denkt Käfer, geht zu einem Tisch am Fenster, hält sich an der Kante fest und nimmt umständlich Platz. Bier bitte, ein großes, und einen doppelten Obstler für den Magen, damit dieses scheußliche Getränk von vorhin neutralisiert ist. Er schaut sich um. Zwei Tische weiter ein Paar. Sie, wie aus grauer Knetmasse modelliert, drückt stumm an ihrem Handy herum. Er, Bürstenfrisur, eine Art Kampf- und Tarnanzug, redet irgendwas vom Ausmisten in den Redaktionsstuben, von neuer Sauberkeit und alten Werten. Und dann noch diese kleine Frau im Pepita-Kostüm, die altmodische Handtasche adrett neben sich, vor sich das Weinglas. Beruhigend weit weg so ein Catcher-Typ, nichts am Oberkörper als ein Netzleibchen, strotzende Büschel rotbrauner Haare unter den Armen. An der Schank einer im Business-Anzug. Trinkt rasch zwei Schnäpse, schüttet ein Bier nach, grüßt weltmännisch, geht unauffällig. Käfer spürt eine Hand auf dem Unterarm, hebt den Kopf und schaut in ein Gesicht, das er kennt. Aber woher? Verdammt ja, der ist doch am Montag besoffen auf diesen
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