Narrenwinter
die Sache von sich aus abhaken. Kurzer Anruf: Natürlich sei es das gute Recht jedes Menschen und jedes Unternehmens, die Meinung über ihn, Käfer, zu ändern – noch dazu, wo es schwerwiegende Gründe dafür gäbe (zartbitterer, ironischer Unterton). Er nehme das zur Kenntnis und wolle nicht auch noch die wertvolle Zeit eines leitenden Mitarbeiters beanspruchen. Adieu. Starker Abgang. Käfer lachte leise auf, verwarf den Gedanken als kindisch und voreilig, war aber dennoch ein wenig erleichtert.
Er folgte weiter dem Traunufer flussabwärts und dachte an Sabine. Natürlich hatte sie ganz richtig beobachtet, dass er – beruflich wie privat – nur allzu gerne den Weg des geringsten Widerstandes wählte. Aber in den letzten Tagen war das anders gewesen. Mit Mertens hatte er angesichts des ungeheuren Potentials dieses Mannes ganz bewusst Probleme und Konflikte in Kauf genommen. Und er hatte stets auf eine konkrete, auch kritische Auseinandersetzung mit seinem Konzept gedrängt. Also war es nur logisch und konsequent, diesen Weg erhobenen Hauptes bis ans offenbar unvermeidliche Ende zu gehen. War es notwendig und klug, sich darauf irgendwie vorzubereiten? Wohl eher nicht. Spontane Reaktionen waren nun einmal glaubwürdiger. Es würde genügen, wenn er morgen ausgeschlafen war und kühlen Mutes. Aber bis dahin?
Vielleicht war es eine gute Idee, aus diesem Spaziergang eine Wanderung zu machen. Zum Bahnhof war es nicht mehr weit und von dort aus führte ein reizvoller Weg nach Sarstein.
Käfer ertappte sich dabei, nun auch Kleinigkeiten ärgerlich zu finden. Sein protziges Auto würde er morgen in Salzburg lassen müssen. Es stand ihm also eine lange, umständliche Rückreise mit Bus und Bahn bevor. Ja, und dann noch die Ente … Fraglich, ob er sich unter den geänderten Umständen die teure Reparatur noch leisten konnte. Er riss sich zusammen. Derlei Grübeleien waren sinnlos und lächerlich, und ganz abgesehen davon war es zu früh für Resignation.
Als er den Bahnhof erreicht hatte, besserte sich seine Laune. Dieses altmodische Gebäude aus Ziegeln und Gusseisen war für ihn immer eine ärarische Manifestation grenzenloser Freiheit gewesen. Von hier aus ging es überall hin, das war amtlich. Natürlich gehörte das Reisen längst zum Alltag, doch an einem Bahnhof wie diesem wurde die Selbstverständlichkeit immer noch ein wenig zur Zeremonie. Käfer betrat den Kassenraum und blieb überrascht stehen. Drei Ebenseer Fetzen saßen auf einer Wartebank und dösten vor sich hin. Sie hatten ihre Holzmasken hochgeschoben, altmodische Strohhüte mit den Trockenblumen lagen auf den Knien. Eine Lautsprecherdurchsage ließ sie aufblicken. Käfer trat näher. „Auf Staatsbesuch gewesen, die Herren?“
„Mehr oder weniger“, gab der eine zur Antwort. „Weniger oder mehr,“ sagte der zweite. „Oder sonst irgendwie“, ergänzte der dritte und fügte hinzu: „Sie sind aber nicht von da?“
Käfer nahm auf der Bank gegenüber Platz. „Sieht man das gleich? Ich bin in Graz zur Welt gekommen. Daniel Käfer heiß ich.“
„Aha. Ich bin der Karl Loidl, neben mir sitzt der Otto Loidl und neben dem der Wilfried Loidl.“
„Nicht schlecht. Also gibt’s wirklich so viele Loidl in Ebensee?“
„Noch mehr. Darum haben die meisten Spitznamen. Ich bin der Schneehund, der Otto ist der Bogensabel und Wilfried der Henaoasch.“
„Hena?“
„Hühner.“
„Also ich war gestern in Ebensee, beim großen Umzug, viel zu kurz, die Zeit war knapp. Aber sehr eindrucksvoll, wirklich! Ich muss wieder kommen, irgendwann, kenn ja die Ortschaft kaum.“
Die drei nickten, musterten Käfer aufmerksam und schwiegen.
„Ich arbeite an einem Buch über das Salzkammergut. Na ja, und persönlich hat mich der Fasching natürlich auch interessiert.“
Otto Loidl schaute zur Tafel mit den Abfahrtszeiten. „Und wo fahren S’ heut hin?“
„Nirgendwo hin. Ich bin auf dem Weg nach Sarstein. Dort wohn ich.“
„Und Sie haben’s eilig?“
„Nein, eigentlich nicht.“
„Dann fahren S’ doch mit uns und wir zeigen Ihnen ein bissl was.“
„Ein anderes Mal gern. Aber ich hab einen wichtigen Termin morgen.“
„Na und? Gleich nach sechs sind wir drüben, und kurz vor neun können Sie zurückfahren.“
„Ich weiß nicht recht.“
„Mit drei Fetzen sind S’ noch nie Eisenbahn gefahren.“
„Also gut, überredet.“
Noch vor wenigen Minuten war Käfer sehr allein mit seinen trüben Gedanken gewesen. Jetzt saß er in heiterer Runde
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