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Narrenwinter

Narrenwinter

Titel: Narrenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Komarek
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und hatte wenigstens für die nächsten paar Stunden ein Ziel vor Augen. Der Zug fuhr langsam durch die Koppenschlucht. Vor den Fenstern wurde der Tag allmählich dunkler.
    „Prost, der Herr!“ Otto Loidl hielt ihm eine Schnapsflasche hin.
    „Danke!“ Käfer nahm einen vorsichtigen Schluck. „Übertreiben darf ich nicht, weil ich morgen einen klaren Kopf brauche. In Aussee kenn ich übrigens die Christine Köberl, eine Ebenseerin, geborene Loidl.“
    „Jaja, die Loidln sind halt weltumspannend. Das kommt noch von der historischen Salzwirtschaft her. Einige von den ersten Salinenarbeitern haben Loidolf geheißen und waren damit unsere Urväter. Es hat sich ja durch Jahrhunderte wenig geändert im Salzkammergut, dafür hat schon das mächtige Salzamt gesorgt. Alles war geregelt: Arbeit, Wohnsitz, Eheleben.“
    „Sie wissen aber gut Bescheid!“
    „Ich bin Lehrer, wenn nicht grad Fasching ist. Der Wilfried arbeitet in der Saline und der Karl war bei der Solvay. Jetzt sperrt die Sodafabrik zu und der Karl muss sich umschauen.“
    „Dann wünsch ich ihm viel Glück, ich weiß, wovon ich rede.“
    „So? Jedenfalls war das Leben nie leicht bei uns. In Gmunden sind die reichen Salzsäcke gesessen, in Ebensee ist geschuftet worden. Und als dann anderswo im Salzkammergut der Fremdenverkehr für ein besseres Leben gesorgt hat, sind die noblen Villen bei uns die Ausnahme geblieben.“
    „Gibt’s eigentlich die Villa vom Herzmanovsky-Orlando noch, Herr Loidl?“
    „Die Villa Almfried? Leider nein, ist in den 60er Jahren verkauft und dann abgerissen worden. Aber wir haben auch noch versteckte Schätze. Wir zeigen Ihnen was, wenn wir da sind! Doch so richtig bestimmend war eigentlich immer die Industrie. Sieht man ja am Ortsbild. Eine Uhrenfabrik hat’s geben, eine Weberei und Spinnerei, die hat 1992 zugesperrt. Aber auf die Saline können wir wenigstens noch stolz sein.“
    Jetzt mischte sich Karl Loidl ein. „Gar so gering kannst den Ebenseer Fremdenverkehr auch wieder nicht schätzen, Otto. Denk nur an den Rudolf Ippisch!“
    „Ja, der! Das müssen Sie sich einmal vorstellen, Herr Käfer: Ein Ebenseer Schuster, der zwei großmächtigen Engländern die Dampfschifffahrt auf dem Traunsee abgetrotzt hat. Und dann ist es ihm sogar noch gelungen, sich seinen Lebenstraum zu erfüllen: die Seilbahn auf den Feuerkogel.“
    „Ganz was anderes jetzt, Herr Loidl – und ganz und gar nicht passend für einen Faschingsdienstag, aber wenn ich schon einen finde, der sich auskennt: Wie war denn das mit dem KZ in Ebensee?“
    „Jeder fragt danach. Nirgendwo im ganzen Salzkammergut war eins, nur bei uns. Wir sind wieder einmal drangekommen. In den Seeberg wurden Stollen vorangetrieben, für die Rüstungsindustrie. Schmieröl und Autobenzin hätten dort erzeugt werden sollen, hat aber nie funktioniert. An die 18.000 Menschen sind am 6. Mai 1945 befreit worden, aber viele waren zu schwach, um zu überleben. Ja, und heutzutage gehört eben auch der KZ-Gedenkstollen zum Ort und der KZ-Friedhof. Ebensee hat recht widersprüchliche Gesichter.“
    Loidl schaute sinnend aus dem Zugfenster. Dann wandte er sich Käfer zu und tippte gegen seine Maske. „Ist ja bei den Fetzen auch nicht anders.“

21
    Nach und nach wurde das Gespräch schütter, verlor sich in vertrauten Geräuschen. Ein kurzer Halt dann und wann, die Lichter von Hallstatt drüben am steilen Seeufer, ihr Widerschein im schwarzen Wasser. Bad Ischl endlich, der kaisergelbe Bahnhof wie ein vergessenes Stück Kulisse auf schneeweißer Bühne.
    Daniel Käfer spürte, wie ihn Müdigkeit immer dichter umfing, seine Gedanken verwischte, ihre Berührungen und Verknüpfungen löste, bis nur noch Bilder übrig waren, schattenhaft, vage, unruhig bewegt. Seine Reisebegleiter hielten die Augen geschlossen, doch ihre Masken waren leblos wach geblieben und starrten zur Decke des Waggons.
    Seltsamer Ort am See …, viele Orte eigentlich, aneinander gedrängt, ineinander geschoben, wie zufällig hingestreut, ratlose Leere dazwischen. Die Dunkelheit verbarg die Landschaft ringsum, machte sich aber auch mitten im Ort über unverbauten Flächen breit, verschluckte leer stehende Häuser, ließ Ufer und Wasser eins werden. Ebensee also …, die kleine Gruppe alter Häuser am Schwemmkegel des Langbathbaches, darüber die Kirche. Gesichtslose Neubauten im Zentrum, dort, wo alte Salinengebäude abgetragen worden waren. Die ehemalige Salzlagerhalle gab es hingegen noch immer. Gewalttätig groß und

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