Narrenwinter
Schiller eigentlich nach Ischl? Die könnten mich ja auch von hier abholen.“
„Könnten sie.“ Sie umarmte Käfer flüchtig. „Möchtest du denn gar nicht wissen, was der Sepp in Ischl so treibt und mit wem?“
„Ach so …, ja natürlich.“
„Glaubst du, dass du eine kurze Autofahrt verträgst, Daniel?“
„Wir werden ja sehen.“
Sieglinde und Benni waren in Ebensee geblieben. Käfer saß schweigend neben Christine, weil er fürchtete, dass Reden seine Übelkeit noch verstärken würde. Als er am Ziel der Reise aus dem Auto stieg, war es dann so weit. Hastig begab er sich hinter einen Busch. Christine wartete diskret abgewandt. „Wir machen einen kleinen Spaziergang, dann wird dir gleich besser.“
Der Weg führte am Ufer der Ischl entlang, dann über eine Brücke. „Siehst du das Haus da drüben, mit dem merkwürdigen Glaspavillon auf dem Dach?“
„Ja.“
„Da wohnt sie.“
„Sie?“
„Sie.“
Es gab keinen Lift. Daniel Käfer war außer Atem und hatte kalten Schweiß auf der Stirn, als sie endlich unter dem Dach angelangt waren. Christine klopfte, die Tür wurde geöffnet, und Daniel Käfer holte überrascht Luft. Er stand einer Frau gegenüber, die ein altmodisches, oben eng anliegendes Kleid mit langem schwingenden Rock trug und einen reich geschmückten Hut. Ein Schleier bedeckte das Gesicht. Und dann noch der schwere Duft von Maiglöckchen … „Anna!?“
„Wer ist Anna, mon cher? Oh, Madame Christine, quelle surprise! Ich wollte gerade gehen. Aber darf ich dennoch bitten?“
Die zwei folgten ihr in einen kleinen Raum. Wolkenstores und schwere samtene Vorhänge, üppige Teppiche, altmodische Polstermöbel mit bestickten Pölstern darauf. Das zierliche Fräulein war stehen geblieben und nahm nun Hut und Schleier ab. Käfer schaute in ein fein geschnittenes, sehr altes Gesicht.
„Lydia Luzé. Wer gibt mir die Ehre?“
„Daniel Käfer.“
„Welch niedlicher Name für einen stattlichen Mann. Macht es euch doch bequem, ihr beiden.“
Fräulein Lydia ging zu einer kleinen Anrichte und kammit drei goldgefassten Gläsern und einer Flasche zurück, in der eine Flüssigkeit golden schimmerte. „Goldteufel-Likör. Hat früher immer gewirkt, speziell bei älteren Herren.“
Käfer nippte, würgte, behielt das Getränk dann aber doch im Magen, Christine nahm einen züchtigen Schluck, Fräulein Lydia leerte ihr Glas, füllte es wieder, trank aus und goss nach. „Lydia Luzé ist mein Künstlername. Wer zahlt schon Spitzenhonorare für eine Eusebia Frosch?“
Daniel Käfer ging es merkwürdigerweise ein wenig besser. „Darf ich wissen, um welche Kunst es geht?“
„Um die Kunst der Kurtisanen, Herr Käfer. Ich bin die Letzte meiner Art, so weit das Auge reicht. Was heutige Liebesdienerinnen so betreiben, ist schandbare Stümperei. Kein Wunder, dass sie sich mit Kreti und Pleti abgeben müssen. Ich hingegen …“ Sie stand auf, nahm ein kleines Bild von der Wand und legte es vor ihre Besucher hin. Ein breiter, kunstvoll gearbeiteter Silberrahmen umfasste das leicht verblichene Foto eines Männerkopfes, der Käfer irgendwie bekannt vorkam. Fräulein Lydias unzählige Gesichtsfältchen formierten sich zu einem verträumten Lächeln. „Lawrence of Arabia …, er stand zwar am anderen Ufer, was seine erotischen Vorlieben betraf – ich vermute es jedenfalls –, aber das ließ eine Lydia Luzé nicht gelten, nie. Und dann war noch ein anderer Haudegen orientalischer Prägung zugange, Slatin Pascha, der sich am Traunsee eine hübsche Villa bauen hatte lassen. Nicht mehr der Jüngste, als er an meine Pforte pochte, aber auch das war kein Thema für eine Lydia Luzé, nie. Viel eher habe ich auf Niveau geachtet. Es ist ein rechter Jammer, dass ich die Zeit der gekrönten Häupter in Bad Ischl nicht erleben und mitgestalten durfte. Immerhin war mir das Vergnügen gegönnt, mit Katharina Schratt Tee zu trinken. Wir hatten einander viel zu erzählen.“
Christine Köberl nahm noch einen Schluck Likör. „Eine Zeitzeugin der besonderen Art, das Fräulein Lydia. Im Oktober hat sie ihren 95. Geburtstag gefeiert. Ich darf’s doch sagen?“
„Sie dürfen, Madame Christine. Ja, irgendwie war ich in der falschen Epoche gelandet, was mein Metier betrifft. Die silberne Operetten-Ära konnte ich nur noch am äußersten Rand vergolden, und die Herren Nazis – was soll ich sagen …, nur immer stramm gestanden war mir stets zu wenig, irgendwie uninspiriert … wie geht es Ihrem Sepp, diesem
Weitere Kostenlose Bücher