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Narrenwinter

Narrenwinter

Titel: Narrenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Komarek
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dennoch verloren stand sie auf einer weiten Wiesenfläche, nur schemenhaft zu erkennen. Und dann der See, Landesteg und Promenade, Industriehafen und Yachthafen …
    Nach einem Rundgang hatten Käfer und die Fetzen den Ortsteil Rindbach erreicht. Otto Loidl war stehen geblieben und wandte sich den anderen zu. „Hier, auf der See-Ebene hat der Ort viel Platz sich auszudehnen und ist so gewachsen, wie es praktisch oder notwendig war. Das Ergebnis ist ein Durcheinander von Fabriken und Freizeitbereichen, von Bauernhäusern, Salzarbeiterhäusern und herrschaftlichen Villen – und Wirtshäusern, versteht sich. Kleines Abendessen vor der Rückreise, Herr Käfer?“
    „Ja, gerne.“
    Ein paar Schritte weiter zeigte Otto Loidl mit sichtlichem Stolz auf eine Villa, deren theatralische Prachtentfaltung mit Balkonen, Erkern und hölzernem Zierrat im schönsten Sinne des Wortes hemmungslos zu nennen war. Käfer stand da und staunte. „Das ist doch alles, nur kein Wirtshaus!“
    „Bei uns in Ebensee schon. Leopold Ritter von Schrötter hat das Prachtstück 1889 erbauen lassen. Und jetzt haben alle Gäste ihre Freude dran und die Gemeinde ist hoffentlich zufrieden – der gehört das Ganze nämlich. Im Sommer sitzt man hier direkt am Wasser. Aber die Zirbenholzstube ist auch nicht ohne. Also, die Herrschaften, worauf warten wir noch?“
    Damit begann eine Nacht, an die sich Käfer später, als alles vorbei war und alles anders und doch wieder nicht, nur mit Mühe und in Bruchstücken erinnern konnte.
    Die Zirbenholzstube, hell und feierlich, in merkwürdigem Kontrast dazu ein paar Ebenseer mit gefährlich schrägen Hüten auf den Köpfen, die drei Fetzen, Montagsrelikte, in einen Dienstag geschwemmt, in den sie nicht gehörten, und er, Daniel Käfer, hoffnungsvoller Aufsteiger am Vorabend seines Absturzes. Tee vorerst, nein danke, ohne Rum, oder doch ja bitte, mit. Die sternklare Winternacht draußen war verdammt kalt und sie würde noch kälter werden. Dann hatte Karl Loidl – oder war’s der Wilfried gewesen – vier Halbe Bier kommen lassen und noch einmal vier nach dem Essen. Dann waren Gäste zum Tisch gekommen, die Käfer nicht kannte. Ein Pascher wurde angesagt. Immer wieder mahnte Käfer zum Aufbruch. Aber dann fing die Runde an, Geschichten zu erzählen, und er hörte mit Freude zu.
    Da war zum Beispiel von dieser Wilderer-Wallfahrt die Rede. Um eine kleine Kapelle ging’s, die sich an der Straße von Ebensee zu den Langbathseen an eine Felswand drückt. Dort soll sich dereinst ein Wildschütz auf der Flucht vor dem Jäger und seinen Helfern tagelang zwischen den Felsen versteckt haben. Als er sich irgendwann wieder hervor wagen konnte, dankte er – gottesfürchtig, wie Wilderer nun einmal sind – dem Himmel und tat ein Gelübde. Seitdem steht am Fluchtort eine Kapelle, und Jahr für Jahr gibt es einen Pilgerzug dorthin. Ist doch selbstverständlich, dass sich unter den andächtig wippenden Gamsbärten auch immer ein paar besonders verwegene Gesichter finden.
    Ja, und dann die grausige Geschichte eines sehr dicken Ebenseers, der betrunken in den Rindbach fiel. Die Leiche wurde in den Traunsee geschwemmt und schwebte viele Tage tief im Wasser verborgen. Als sie dann doch ans Licht kam, war sie ziemlich aus der Form geraten. Der Hut allerdings, der saß fest auf dem Kopf.
    Aufbruch, aber jetzt wirklich! Ein Pascher noch zum Abschied, ein Bier noch, zum Abschied, dann der Bahnhof. Zug versäumt. Kein Problem. Ungefähr in einer Stunde fährt der nächste, aber nur bis Ischl. Auch egal.
    Und dann dieses kleine Wirtshaus mit dem urigen Holz an den Wänden. Tirolerwirt? Ja, stimmt …, es hatte dort noch eine gutmütige Streiterei darüber gegeben, ob das Salzkammergut wirklich einen derartigen Rustikal-Import nötig hatte. Nein, eigentlich nicht, war am Ende die einhellige Meinung. Käfer durfte Recht behalten, bekam derbe Schläge auf die Schultern, stand im Mittelpunkt der kleinen Gesellschaft, erzählte von sich, dann auch von Mertens und Puntigam. Erst neue Gäste, Musikanten, brachten ihn zum Schweigen. Ziehharmonika, Geige, Hackbrett … Käfer kannte die Melodien nicht, aber sie hüllten ihn ein, warm und vertraut, trugen ihn über lästige Gedanken hinweg und über die Zeit. Wie war das mit dem nächsten Zug? Ach was.
    Später war er mit einem ins Gespräch gekommen, der Christine und Sieglinde Köberl kannte. Womöglich auch diesen gepiercten Kraftlackl? Den Glatzenpolierer? Natürlich! Und was ist mit dem?

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