Narrenwinter
gepiercten Berserker losgegangen … Heute wirkt er friedlich, setzt sich an den Tisch, lässt sich einladen. Er weiß was vom Glatzenpolierer, sagt er. Er hat noch eine Rechnung mit ihm offen, grinst er. Und er da, der Herr … Käfer, Daniel Käfer heiß ich … Ja? Egal. Er hat ja auch was mit ihm, oder gegen ihn, besser gesagt, stimmt doch, oder? Also auf in den Kampf oder so. Feig?
Ein wirrer Weg durch die Nacht dann, die Bilder, Farben und Konturen, an die sich Käfer später erinnern wird, passen nicht zueinander. Aber Wut hat eine Rolle gespielt, Wut auf jeden und alles, und Angst zwischendurch. Filmriss irgendwann.
Hell ist es noch nicht, aber die Nacht ist weg. Daniel Käfer will aufwachen, kommt aber nicht ganz so weit. Weiß und grau ist es um ihn, und kalt. Irgendwo hin, das wäre gut. Unsicher folgt er einem schmalen Fußweg. Bahnhof …, war da nicht was mit Bahnhof gewesen? Und was mit Taxi? Käfer geht ein wenig schneller. Dann sieht er diese Bank, ein dicker Schneepolster auf der Sitzfläche. Mhh, das war’s! Stille, Frieden, Kälte. Nur ausruhen, loslassen, wohlig weich fallen. Und die Kälte tut ja nur so. Eigentlich ist sie wie ein dickes, weiches Federbett um ihn. Die Augen schließen, nach innen schauen, sich eine Welt malen, glücklich sein, schlafen, träumen, schlafen.
22
Eine leuchtend bunte, sanft bewegte Woge hüllte Daniel Käfer ein, ohne ihn festzuhalten, trug ihn mit sich, ohne zu drängen. Die Gewissheit, dass er sich bald verlieren würde, machte ihm keine Angst. Aber dieser schneidend helle Riss in den Farben erschreckte ihn, die Kälte, die auf ihn eindrang wie eine blanke Waffe. Käfer wich zurück, so weit er nur konnte, aber dieses Schlagen, Reißen und Zerren war noch immer da. Dann verpufften die Farben in grellem Weiß. Er öffnete die Augen. Vor ihm kniete Sieglinde Köberl und rieb seine nackte Brust mit Schnee ab. Über ihm ragte die wuchtige Gestalt des Glatzkopfs auf. Eine Hand, zum Schlag erhoben, sank herab, als Käfer sich regte. „Er ist wach, Sieglinde, verdammt, jetzt ist mir leichter.“
Käfer versuchte aufzustehen, seine Kraft reichte aber nur für eine unwillige Bewegung. „Sie schon wieder! Lassen Sie mich endlich in Frieden!“
„Keine Angst. Der Benni tut nichts. Ganz ein Lieber ist er!“ Sieglinde Köberl knöpfte Käfers Hemd und Mantel zu, zupfte den Schal zurecht. „So. Aufstehen, wir helfen Ihnen! Können Sie gehen? Weit ist es nicht.“
„Natürlich kann ich.“ Käfer schwankte, setzte sich aber in Bewegung. „Danke, euch beiden. Und kann ich jetzt, verflucht noch einmal, erfahren, was los ist?“
Sieglinde hatte Käfers Arm genommen und bestimmte die Richtung. „Später. Wir gehen ins Kulturkino. Am Aschermittwoch ist dort schon ganz früh geöffnet. Katerfrühstück oder Notfall-Aufnahme – je nachdem.“
Trotz seines erbärmlichen Zustandes war Käfer sehr beeindruckt. Im Foyer des Kulturkinos reflektierten die zahlreichen Spiegel in seltener Reinheit den Stil der 50er Jahre. Edles Plastik wölbte sich zwischen runden Tapezierernägeln, spannte sich mit zukunftsweisender Glätte über spinnenbeinige Stühle. Hier war es ganz selbstverständlich, dass Sieglindes martialischer Begleiter nach Pitralon roch. Auch sein Erscheinungsbild wirkte zwischen langhaarigen Bohemiens, schräg behüteten Lederhosenträgern und geschniegelten Mods relativ normal. Sieglinde Köberl strich Käfer mit einer mütterlichen Geste das Haar aus der Stirn. „Ich habe mit der Anna telefoniert. Die regelt alles in Aussee. Und der Max wird auch gleich da sein.“
„Max?“
„Unser Medizinmann. Studiert zwar noch, ist aber fast fertig. Sie müssen ja schnell wieder auf die Beine kommen, nach allem, was ich so weiß.“
„Wenn ich nur geradeaus denken könnte …“
„Wird schon werden. Aha, da ist er.“
Max stellte eine museumsreife Doktortasche ab, musterte Käfer und grinste. „Hosen hinunter!“
Sieglinde wandte sich beiläufig ab, Max zückte die Nadel. „Hochdosiertes Vitamin B. Und statt auf einen Männerarsch zu schielen, der dich nichts angeht, Sieglinde, könntest du etwas aus der Drogerie besorgen.“
„Was denn?“
„Irgend so eine Turbo-Regenerations-Gesichtsmaske, da kennst du dich sowieso besser aus. Na los, lauf, Mädchen!“ Er wandte sich wieder Käfer zu. „Man sagt immer, erfrieren sei so ein angenehmer Tod, direkt lustvoll. Wie ist das?“
„Na ja, ich hab’s ja nur in Ansätzen versucht. War aber tatsächlich
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