Narziss Und Goldmund
einen Wurf zu setzen.
Am Morgen des dritten Tages kam Agnes zu Pferde aus dem Schloßtor, von einem berittenen Knecht begleitet. Ihre Augen blickten sogleich nach dem Verfolger aus, kampflustig und etwas unruhig. Richtig, er war schon da Sie schickte den Knecht mit einem Auftrag fort, allein ritt sie langsam voran, ritt langsam zum untern Brückentor hinaus und über die Brücke. Nur einmal blickte sie zurück. Sie sah den Fremden folgen. Am Weg zur Wallfahrtskirche Sankt Veit, wo es um diese Zeit sehr einsam war, erwartete sie ihn. Sie mußte eine halbe Stunde warten, der Fremde ging langsam, er wollte nicht außer Atem kommen. Frisch und lächelnd kam er gegangen, ein Zweigchen mit einer hellroten Hagebutte im Mund. Sie war abgestiegen und hatte das Pferd angebunden, sie stand an den Efeu der steilen Stutzmauer gelehnt und blickte dem Verfolger entgegen. Aug in Auge mit ihr blieb er stehen und zog die Mütze.
»Warum läufst du mir nach?« fragte sie, »was willst du von mir?«
»Oh«, sagte er, »ich möchte dir viel lieber etwas schenken, als etwas von dir annehmen. Ich möchte mich dir zum 253
Geschenk anbieten, schöne Frau, mach dann mit mir, was du willst.«
»Gut, ich will sehen, was sich mit dir machen läßt. Aber wenn du gedacht hast, hier draußen gefahrlos ein Blümchen pflücken zu können, dann hast du dich getäuscht. Ich kann nur Männer lieben, die im Notfall ihr Leben daran wagen.«
»Du hast über mich zu befehlen.«
Langsam nahm sie von ihrem Halse eine dünne Gold-
kette und reichte sie ihm hin.
»Wie heißt du denn?«
»Goldmund.«
»Schön, Goldmund, ich werde schmecken, wie golden dein Mund ist. Hör mir gut zu: du wirst diese Kette gegen Abend im Schloß herzeigen und sagen, du habest sie gefunden. Du gibst sie nicht aus den Händen, ich möchte sie selbst von dir zurückempfangen. Du kommst so, wie du bist, mögen sie dich für einen Bettler halten. Wenn einer vom Gesinde dich anschnauzt, bleibst du ruhig. Du mußt wissen, daß ich nur zwei sichere Leute im Schloß habe: den Reitknecht Max und meine Zofe Berta. Eins von den beiden mußt du erreichen und dich zu mir führen lassen.
Gegen alle andern im Schloß, den Grafen eingerechnet, benimm dich vorsichtig, sie sind Feinde. Du bist gewarnt.
Es kann dir das Leben kosten.«
Sie streckte ihm die Hand hin, lächelnd nahm er sie, küßte sie sanft, rieb leise seine Wange an ihr. Dann steckte er die Kette zu sich und ging davon, bergabwärts dem Fluß und der Stadt entgegen. Die Weinberge waren schon kahl, von den Bäumen wehte ein gelbes Blatt ums andere. Goldmund schüttelte lächelnd den Kopf, als er, auf die Stadt hinunterblickend, sie so freundlich und liebenswert fand.
Vor wenig Tagen noch war er so traurig gewesen, traurig sogar darüber, daß auch Not und Leid vergänglich sind.
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Und nun waren sie in der Tat schon vergangen, hingesunken wie das goldene Laub vom Ast. Ihm schien, noch niemals habe die Liebe ihm so gestrahlt wie aus dieser Frau, deren hohe Gestalt und blonde lachende Lebensfülle ihn an das Bild semer Mutter erinnerte, wie er es damals, als Knabe in Mariabronn, im Herzen getragen hatte.
Vorgestern noch hatte er es nicht für möglich gehalten, daß ihm noch einmal die Welt so froh ins Auge lachen, daß er noch einmal den Strom des Lebens, der Freude, der Jugend so voll und drängend durch sein Blut könnte strö-
men fühlen. Welches Glück, daß er noch am Leben war, daß in all diesen grausigen Monaten der Tod ihn verschont hatte!
Am Abend fand er sich im Schlosse ein. Im Schloßhof ging es lebhaft zu, Pferde wurden abgesattelt, Boten liefen, ein kleiner Zug von Priestern und geistlichen Würdenträ-
gern wurde von Dienern durchs innere Tor und die Treppe hinangeführt. Goldmund wollte ihnen nach, der Türsteher hielt ihn zurück. Er holte die Goldkette hervor und sagte, er sei angewiesen, sie niemandem auszuhändigen als der gnädigen Frau selbst oder ihrer Zofe. Man gab ihm einen Diener mit, lange mußte er in den Gängen warten. Endlich erschien eine hübsche behende Frau, die ging an ihm vorbei, fragte leise »Seid ihr Goldmund?« und winkte ihm, ihr zu folgen. Still verschwand sie durch eine Tür, erschien nach einer Weile wieder und winkte ihn herein.
Er kam in ein kleines Zimmer, das duftete stark nach Pelz und nach süßem Parfüm und hing voll von Kleidern und Mänteln, Frauenhüte staken auf hölzernen Bolzen, allerlei Schuhwerk stand in einer offenen Truhe. Hier stand er und wartete,
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