Narziss Und Goldmund
sehr, daß ich das hören muß! Ich sehe, daß Ihr es schwer gehabt habet. Wenn Euch ein dankbarer Schüler Eures Vaters irgendeinen Dienst tun kann, so sagt es, es wäre mir eine Freude. Ach, Jungfer Lisbeth, es will mir das Herz brechen, daß ich Euch so – so tief im Leid finde.«
Sie zog sich in die Stubentür zurück.
»Danke«, sagte sie zögernd. »Ihr könnet ihm keinen Dienst mehr tun und mir auch nicht. Margrit wird Euch hinausführen.«
Schlecht klang ihre Stimme, halb böse, halb ängstlich. Er spürte, hätte sie Mut gehabt, sie hätte ihn schimpflich hin-ausgewiesen.
Schon war er unten, schon hatte die Alte das Haustor hinter ihm zugeschlagen und die Riegel gestoßen. Er hörte das harte Anschlagen der beiden Riegel noch, es klang ihm wie das Zuschlagen eines Sargdeckels.
Langsam kehrte er zu der Ufermauer zurück und setzte sich wieder an den alten Platz überm Flusse. Die Sonne war untergegangen, kalt zog es vom Wasser herauf, kalt war der Stein, auf dem er saß. Die Ufergasse war still geworden, am Brückenpfeiler rauschte die Strömung auf, dunkel lag die Tiefe, kein Goldschimmer blinkte mehr herauf. Oh, dachte er, daß ich jetzt über die Mauer fiele und im Fluß verschwände! Wieder war die Welt voll von Tod.
Eine Stunde verging, und die Dämmerung war Nacht geworden. Endlich konnte er weinen. Er saß und weinte, über die Hände und Knie fielen ihm die warmen Tropfen. Er weinte um den toten Meister, er weinte um die verlorene 246
Schönheit Lisbeths, er weinte um Lene, um Robert, um das Judenmädchen, um seine verwelkte, vergeudete Jugend.
Spät fand er sich in einer Weinschenke ein, wo er einst oft mit Kameraden gezecht hatte. Die Wirtin erkannte ihn, er bat um ein Stück Brot, sie gab es ihm und gab ihm freundlich auch einen Becher Wein. Er brachte weder Brot noch Wein hinunter. Auf einer Bank in der Schenke schlief er die Nacht. Die Wirtin weckte ihn am Morgen, er sagte Dank und ging, unterwegs aß er das Stuck Brot.
Er ging zum Fischmarkt, da stand das Haus, in dem er damals seine Kammer gehabt hatte. Neben dem Brunnen hielten ein paar Fischweiber ihre lebende Ware feil, er starrte in die Bottiche zu den schönen schimmernden Tieren hinein. Oft hatte er dies früher gesehen, es fiel ihm wieder ein, daß er oft mit den Fischen Mitleid gehabt hatte und wütend auf die Weiber und Käufer gewesen war.
Einstmals, so erinnerte er sich, hatte er sich auch einen Morgen hier so herumgetrieben, hatte die Fische bewundert und bemitleidet und war sehr traurig gewesen, es war viel Zeit seitdem vergangen und viel Wasser den Fluß hin-abgeronnen. Er war sehr traurig gewesen, das wußte er noch wohl, aber was es war, worüber er so traurig gewesen war, wußte er nicht mehr. So war es auch: das Traurige verging, auch die Schmerzen und Verzweiflungen vergingen, ebenso wie die Freuden, sie gingen vorüber, verblaßten, verloren ihre Tiefe und ihren Wert, und schließlich kam eine Zeit, da konnte man sich nicht mehr darauf besinnen, was es gewesen war, das einem einmal so weh getan hatte.
Auch die Schmerzen verblühten und verwelkten. Würde auch sein heutiger Schmerz einmal verwelken und wertlos sein, seine Verzweiflung darüber, daß der Meister tot und im Groll gegen ihn gestorben war und daß keine Werkstatt ihm offenstand, um das Glück des Schaffens zu kosten und sich die Bilderlast von der Seele zu wälzen? Ja, ohne Zwei-247
fel würde auch dieser Schmerz, auch diese bittere Not alt werden und müde werden, auch sie würde er vergessen.
Nichts hatte Bestand, auch nicht das Leid.
Indem er auf die Fische starrte und diesen Gedanken hingegeben war, hörte er eine leise Stimme freundlich seinen Namen sagen.
»Goldmund«, rief es schüchtern, und als er hinschaute, stand da ein etwas zartes und kränkliches junges Mädchen, aber mit schonen dunklen Augen, das ihn angerufen hatte. Er kannte es nicht.
»Goldmund! Du bist es doch?« sagte die schüchterne Stimme. »Seit wann bist du wieder in der Stadt? Kennst du mich nicht mehr? Ich bin doch Marie.«
Aber er kannte sie nicht. Sie mußte ihm erzählen, daß sie die Tochter seiner einstigen Hauswirte sei und daß sie einst, in jener Morgenfrühe vor seiner Abreise, ihm in der Küche eine Milch gekocht habe. Sie wurde rot, als sie es erzählte.
Ja, es war Marie, es war das dürftige Kind mit dem kranken Hüftgelenk, das damals so lieb und schüchtern für ihn gesorgt hatte. Er wußte nun alles wieder: sie hatte am kühlen Morgen auf ihn gewartet
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