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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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einem winzigen Öllampchen saß Marie am Küchentisch. Eben war sie eingenickt, nachdem sie zwei, drei Stunden gewartet hatte. Sie erschrak und sprang auf, als er eintrat.
    »Oh«, sagte er, »Marie, bist denn du noch auf?«
    »Ich bin auf«, sagte sie »Sonst hättest du das Haus verschlossen gefunden.«
    »Es tut mir leid, Marie, daß du gewartet hast. Es ist so spät geworden. Sei mir nicht böse.«
    »Ich bin dir nie böse, Goldmund. Ich bin nur ein wenig traurig.«
    »Traurig sollst du nicht sein Warum denn traurig?«
    »Ach, Goldmund, ich möchte wohl, daß ich gesund und schön und stark wäre. Dann müßtest du nicht in der Nacht in fremde Hauser gehen und andere Frauen liebhaben.
    Dann würdest du wohl auch einmal bei mir bleiben und mit mir ein wenig lieb sein.«
    Keine Hoffnung klang in ihrer sanften Stimme und keine Bitterkeit, nur Trauer. Verlegen stand er bei ihr, sie tat ihm so leid, er wußte nichts zu sagen. Mit vorsichtiger Hand faßte er nach ihrem Kopf und streichelte ihr Haar, 258
    und sie stand und hielt still, fühlte schauernd seine Hand auf ihrem Haar, weinte ein wenig, richtete sich wieder auf und sagte schüchtern: »Geh nun zu Bett, Goldmund. Ich habe dummes Zeug gesprochen, ich war so schläfrig. Gute Nacht.«
    Sechzehntes Kapitel
    Einen Tag voll glücklicher Ungeduld brachte Goldmund auf den Hügeln zu. Hätte er ein Pferd gehabt, so wäre er heut ins Kloster zu der schönen Madonna seines Meisters geritten, es verlangte ihn, sie noch einmal zu sehen, auch schien ihm, er habe nachts vom Meister Niklaus ge-träumt. Nun, er würde es nachholen. Sollte auch dies Liebesglück mit Agnes vielleicht von kurzer Dauer sein, vielleicht zu Bösem führen – heut stand es in Blüte, er durfte nichts davon versäumen. Er wollte heute keine Menschen sehen und nicht zerstreut sein, er wollte den sanften Herbsttag draußen verbringen, unter den Bäumen und Wolken. Er sagte es Marie, daß er einen Gang über Land im Sinn habe und wohl erst spät zurückkommen werde, sie möge ihm ein tüchtiges Stück Brot mitge-ben, und am Abend möge sie doch nicht seinetwegen warten. Sie sagte nichts dazu, sie steckte ihm die Tasche voll Brot und Äpfeln, fuhr mit der Bürste über seinen alten Rock, dessen Schaden sie gleich am ersten Tage geflickt hatte, und ließ ihn ziehen.
    Er spazierte über den Fluß und durch die leeren Weinberge auf steilen Treppenwegen hügelan, verlor sich oben im Walde und hörte nicht auf zu steigen, bis er den letzten Höhenkranz erreicht hatte. Da schien die Sonne lau durch das Gestänge der kahlen Bäume, Amseln flohen vor seinen 259
    Schritten ins Gebüsch, saßen scheu geduckt und schauten aus schwarzblanken Augen aus dem Dickicht, und weit unten in blauem Bogen floß der Strom und lag die Stadt klein wie Spielzeug hingebaut, von dort war kein Ton mehr zu hören als die Geläute zu den Betzeiten. Hier oben gab es kleine grasbewachsene Wälle und Hügel aus alter heidnischer Zeit, vielleicht Befestigungen, vielleicht Gräber. Auf einem dieser Hügel ließ er sich nieder, hier saß man trocken im knisternden Herbstgras und übersah das ganze weite Tal und jenseits des Flusses die Hügel und Berge, Kette hinter Kette, bis wo Gebirg und Himmel in bläuli-chem Spiel sich begegneten und nicht mehr zu unterscheiden waren. All dies weite Land und viel weiter noch, als ein Auge sehen konnte, hatten seine Füße durchwandert, alle diese Gegenden, die jetzt Ferne und Erinnerung waren, waren einmal Nähe und Gegenwart gewesen. In diesen Wäldern hatte er hundertmal geschlafen, hatte Beeren gegessen, hatte gehungert und gefroren, über diese Berg-kämme und Heidestriche war er gewandert, war froh und traurig, war frisch und war müde gewesen. Irgendwo in dieser Ferne, jenseits des Sichtbaren, lagen die verbrannten Knochen der guten Lene, dort irgendwo mochte sein Kamerad Robert noch immer auf Wanderung sein, wenn nicht die Pest ihn geholt hatte, da draußen irgendwo lag der tote Viktor, und irgendwo auch, weit und verzaubert, lag das Kloster seiner Jugendjahre, stand die Burg des Ritters mit den schönen Töchtern, lief arm und gehetzt die arme Rebekka oder war umgekommen. Alle diese vielen, weit zerstreuten Orte, diese Heiden und Wälder, diese Städte und Dorfer, Burgen und Klöster, alle diese Menschen, sie mochten leben oder tot sein, wußte er in sich innen vorhanden und miteinander verbunden, in seiner Erinnerung, in seiner Liebe, seiner Reue, seiner Sehnsucht.
    Und wenn morgen auch ihn

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