Narziss Und Goldmund
Leben geworden ist Als Jüngling, als ich noch dein Schüler war, hatte ich den Wunsch, ein so geistiger Mensch zu werden wie du. Du hast mir gezeigt, daß ich nicht dazu berufen war. Dann warf ich mich auf die andere Seite des Lebens, auf die Sinne, und die Frauen haben es mir leichtgemacht, dort meine Lust zu finden, sie sind so willig und gierig.
Doch möchte ich ja nicht verächtlich von ihnen sprechen und auch nicht von der Sinnenlust, ich bin oft sehr glücklich gewesen. Und ich habe auch das Gluck gehabt zu erleben, daß die Sinnlichkeit beseelt werden kann. Daraus entsteht die Kunst. Jetzt aber sind beide Flammen erloschen.
Ich habe das tierische Glück der Wollust nicht mehr – und ich hatte es auch nicht, wenn die Frauen mir noch heute nachliefen. Und Kunstwerke zu schaffen, ist auch nicht mehr mein Wunsch, ich habe genug Figuren gemacht, es kommt auf die Zahl nicht an. Darum ist es für mich Zeit zu sterben. Ich bin willig dazu und bin neugierig darauf.«
»Warum neugierig?« fragte Narziß.
»Nun, es ist wohl etwas dumm von mir. Aber ich bin wirklich neugierig darauf. Nicht auf das Jenseits, Narziß, 325
darüber mache ich nur wenig Gedanken, und wenn ich es offen sagen darf, ich glaube nicht mehr daran. Es gibt kein Jenseits. Der verdorrte Baum ist tot für immer, der erfrorene Vogel kommt nie wieder zum Leben und ebensowenig der Mensch, wenn er gestorben ist. Man mag noch eine Weile an ihn denken, wenn er fort ist, aber auch das dauert ja nicht lange. Nein, neugierig auf das Sterben bin ich nur darum, weil es noch immer mein Glaube oder mein Traum ist, daß ich unterwegs zu meiner Mutter bin. Ich hoffe, der Tod werde ein großes Glück sein, ein Glück, so groß wie das der ersten Liebeserfüllung. Ich kann mich von dem Gedanken nicht trennen, daß statt des Todes mit der Sense es meine Mutter sein wird, die mich wieder zu sich nimmt und in das Nichtsein und in die Unschuld zurückführt.«
Bei einem seiner letzten Besuche, nachdem Goldmund mehrere Tage nichts mehr gesprochen hatte, fand Narziß ihn wieder wach und gesprächig.
»Der Pater Anton meint, du müssest oft große Schmerzen haben. Wie machst du es, Goldmund, daß du sie so ruhig er-trägst? Mir scheint, du habest jetzt den Frieden gefunden.«
»Meinst du den Frieden mit Gott? Nein, den habe ich nicht gefunden. Ich will keinen Frieden mit ihm. Er hat die Welt schlecht gemacht, wir brauchen sie nicht zu preisen, und ihm wird ja auch wenig daran gelegen sein, ob ich ihn lobpreise oder nicht. Schlecht hat er die Welt gemacht.
Aber mit den Schmerzen in meiner Brust habe ich Frieden geschlossen, das ist richtig. Früher konnte ich Schmerzen nicht gut ertragen, und obwohl ich manchmal der Meinung war, das Sterben würde mir leichtfallen, so war das doch ein Irrtum. Als es damit Ernst werden sollte, in jener Nacht im Gefängnis des Grafen Heinrich, hat es sich ja gezeigt: ich konnte einfach nicht sterben, ich war noch viel zu stark und zu wild, sie hatten jedes Glied von mir zweimal totschlagen müssen. Jetzt aber ist es anders.«
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Das Sprechen ermüdete ihn, seine Stimme wurde
schwächer Narziß bat ihn, sich zu schonen.
»Nein«, sagte er, »ich will es dir erzählen. Früher hätte ich mich geschämt, es dir zu sagen. Du wirst lachen müssen. Nämlich als ich damals meinen Gaul bestieg und von hier weggeritten bin, geschah es nicht ganz ins Blaue hinein. Ich hatte ein Gerücht gehört, der Graf Heinrich sei wieder im Lande und seine Geliebte sei wieder bei ihm, die Agnes. Nun gut, dir scheint das nicht wichtig, und auch mir scheint es heut nicht wichtig. Aber damals brannte mich die Nachricht gewaltig, und ich dachte an nichts mehr als an Agnes, sie war die schönste Frau, die ich gekannt und geliebt habe, ich wollte sie wiedersehen, ich wollte noch einmal mit ihr glücklich sein. Ich ritt, und nach einer Woche fand ich sie. Dort, in jener Stunde, ist die Veränderung mit mir geschehen. Ich fand also die Agnes, sie war nicht weniger schön geworden, ich fand sie und fand Gelegenheit, mich ihr zu zeigen und mit ihr zu sprechen. Und denke, Narziß sie wollte nichts mehr von mir wissen! Ich war ihr zu alt, ich war ihr nicht mehr hübsch und vergnügt genug, sie versprach sich nichts mehr von mir. Damit war meine Reise eigentlich zu Ende. Ich ritt aber weiter, ich mochte nicht so enttäuscht und lächerlich zu euch zurückkommen, und wie ich so ritt, hatte mich die Kraft und die Jugend und die Klugheit schon ganz verlassen, denn ich
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