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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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retten? Ja, es gab einen solchen Zauber daß sie in seiner Seele weiter-lebten und von ihm gestaltet und aufbewahrt wurden Mit Schrecken und mit Entzucken fühlte er, wie voll von Bildern seine Seele war, wie dies lange Wandern durch das Todesland ihn mit Figuren vollgeschrieben hatte. O wie spannte diese Fülle in seinem Innern, wie sehnlich verlangte ihn danach, sich still auf sie zu besinnen, sie abströ-
    men zu lassen und in bleibende Bilder zu verwandeln!
    Glühender und begieriger strebte er weiter, noch immer mit offenen Augen und neugierigen Sinnen, aber voll heftiger Sehnsucht nach Papier und Stift, nach Ton und Holz, nach Werkstatt und Arbeit.
    Der Sommer war vorüber. Viele versicherten, daß mit dem Herbst oder doch mit dem Winteranfang die Seuche aufhören werde Es war ein Herbst ohne Fröhlichkeit Gold-238
    mund kam durch Gegenden, in denen niemand mehr da war, das Obst zu ernten, es fiel von den Bäumen und faulte im Gras, an anderen Orten wurde es von verwilderten Hor-den, die aus den Städten kamen, in rohen Raubzügen ge-plündert und vergeudet.
    Langsam näherte sich Goldmund seinem Ziel, und in dieser letzten Zeit befiel ihn mehrmals die Furcht, er möchte vorher noch die Pest erwischen und in irgendeinem Stalle sterben müssen. Er wollte jetzt nicht mehr sterben, nicht, ehe er das Glück genossen hatte, noch einmal in einer Werkstatt zu stehen und sich dem Schaffen hinzugeben. Zum erstenmal in seinem Leben war ihm jetzt die Welt zu weit und das deutsche Reich zu groß. Kein hübsches Städtchen konnte ihn zur Rast verlocken, keine hübsche Bauernmagd hielt ihn länger fest als eine Nacht.
    Einmal kam er an einer Kirche vorüber, an deren Portal standen in tiefen, von Schmucksäulchen getragenen Nischen viele Steinfiguren aus sehr alter Zeit, Figuren von Engeln, Aposteln und Märtyrern, wie er ähnliche schon oft gesehen hatte, auch in seinem Kloster, in Mariabronn, hatte es manche Figuren dieser Art gegeben. Früher, als Jüngling, hatte er sie gerne, aber ohne Leidenschaft betrachtet, sie schienen ihm schön und würdevoll, aber ein wenig zu feierlich und etwas steif und altväterisch. Später dann, nachdem er am Ende seiner ersten großen Wanderschaft von jener süßen traurigen Mutter Gottes des Meisters Niklaus so sehr ergriffen und entzückt worden war, hatte er diese altfränkisch feierlichen Steinfiguren allzu schwer und starr und fremd gefunden, er hatte sie mit einem gewissen Hochmut betrachtet und hatte in der neuen Art seines Meisters eine viel lebendigere, innigere, beseeltere Kunst gesehen. Heute nun, da er voll von Bildern, die Seele gezeichnet von den Narben und Spuren heftiger Abenteuer und Erlebnisse, voll schmerzlicher Sehnsucht nach Be-239
    sinnung und nach neuem Schaffen aus der Welt zurückkam, rührten diese uralten strengen Figuren sein Herz: plötzlich mit übermächtiger Gewalt. Andächtig stand er vor den ehrwürdigen Bildern, in welchen das Herz einer lang vergangenen Zeit fortlebte und die Ängste und Entzückungen längst verschwundener Geschlechter nach Jahrhunderten noch zu Stein erstarrt der Vergänglichkeit Trotz boten. In seinem verwilderten Herzen erhob sich schauernd und demütig das Gefühl der Ehrfurcht und ein Grauen vor seinem vergeudeten und verbrannten Leben.
    Er tat, was er unendlich lange nicht mehr getan hatte, er suchte einen Beichtstuhl auf, um zu bekennen und sich strafen zu lassen.
    Aber wohl gab es Beichtstühle in der Kirche, doch in keinem einen Priester, sie waren gestorben, lagen im Hospital, waren geflohen, fürchteten Ansteckung. Die Kirche war leer, hohl klangen Goldmunds Schritte im Stein-gewölbe wider. Er kniete vor einem der leeren Beichtstüh-le nieder, schloß die Augen und flüsterte ins Sprechgitter hinein: »Lieber Gott, sieh, was aus mir geworden ist. Ich komme aus der Welt zurück und bin ein schlechter unnützer Mensch geworden, ich habe meine jungen Jahre vertan wie ein Verschwender, wenig ist übriggeblieben. Ich habe getötet, ich habe gestohlen, ich habe gehurt, ich bin müßig gegangen und habe andern das Brot weggegessen. Lieber Gott, warum hast du uns so geschaffen, warum führst du uns solche Wege? Sind wir nicht deine Kinder? Ist nicht dein Sohn für uns gestorben?
    Gibt es nicht Heilige und Engel, uns zu leiten? Oder sind das alles hübsche erfundene Geschichten, die man den Kindern erzählt und über die die Pfaffen selber lachen? Ich bin irr an dir geworden, Gottvater, du hast die Welt übel geschaffen, schlecht

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