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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hältst du sie in Ordnung. Ich habe Häuser und Gassen voll von Toten liegen sehen, ich habe 240
    gesehen, wie die Reichen sich in ihren Häusern verschanzt haben oder geflohen sind und wie die Armen ihre Brüder unbegraben haben liegenlassen, wie sie einer den andern verdächtigt und die Juden wie Vieh totgeschlagen haben.
    Ich habe so viele Unschuldige leiden und untergehen sehen und so viele Böse im Wohlleben schwimmen. Hast du uns denn ganz vergessen und verlassen, ist dir deine Schöpfung ganz entleidet, willst du uns alle zugrunde gehen lassen?«
    Seufzend trat er durchs hohe Portal heraus und sah die schweigenden Steinbilder, Engel und Heilige, hager und hoch in ihren starr gefalteten Gewandern stehen, unbewegt, unerreichbar, übermenschlich und doch von Men-schenhand und aus Menschengeist geschaffen. Streng und taub standen sie da oben auf ihrem knappen Raume, keiner Bitte und Frage zugänglich, und waren doch ein unendlicher Trost, waren ein triumphierender Sieg über Tod und Verzweiflung, wie sie in ihrer Würde und Schönheit standen und ein hinsterbendes Menschengeschlecht ums andere überdauerten. Ach, daß hier auch die arme schöne Jüdin Rebekka stünde und die arme, mit der Hütte verbrannte Lene und die holde Lydia und Meister Niklaus!
    Aber sie würden einmal stehen und dauern, er würde sie hinstellen, und ihre Gestalten, die ihm heute Liebe und Qual, Angst und Leidenschaft bedeuteten, würden vor den später Lebenden stehen, ohne Namen und Geschichte, stille, schweigende Sinnbilder des Menschenlebens.

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    Fünfzehntes Kapitel
    Endlich war das Ziel erreicht, und Goldmund betrat die ersehnte Stadt durch dasselbe Tor, durch das er einst, vor so viel Jahren, zum erstenmal geschritten war, um seinen Meister zu suchen. Manche Nachricht aus der Bischofsstadt hatte ihn schon unterwegs im Näherkommen erreicht, er wußte, daß auch dort die Pest gewesen war und vielleicht noch immer herrschte, man hatte ihm von Un-ruhen und Volksaufständen erzählt und daß ein kaiserlicher Statthalter gekommen sei, um Ordnung zu schaffen, Notgesetze zu geben und Gut und Leben der Bürger zu schützen. Denn der Bischof hatte die Stadt gleich nach dem Ausbruch der Seuche verlassen und residierte fern in einem seiner Schlösser auf dem Lande. An allen diesen Nachrichten hatte der Wanderer wenig teilgenommen.
    Wenn nur die Stadt noch stand und die Werkstätte, wo er arbeiten wollte! Alles andere war ihm nicht wichtig. Als er ankam, war die Pest erloschen, man erwartete die Rückkehr des Bischofs und freute sich auf den Abzug des Statthalters und die Wiederkehr des gewohnten friedlichen Lebens.
    Als Goldmund die Stadt wiedersah, zog ihm eine nie zuvor erlebte Woge von Wiedersehen und Heimatgefühl durchs Herz, und er schnitt ein ungewohnt strenges Gesicht, um sich zu bemeistern. Oh, dies alles war noch da die Tore, die schönen Brunnen, der alte klotzige Turm der Ka-thedrale und der schlanke neue der Marienkirche, das helle Geläut von Sankt Lorenz, der große strahlende Marktplatz! O wie gut, daß das alles auf ihn gewartet hatte! Hatte er nicht unterwegs einmal geträumt, daß er hier ankomme und alles fremd und verändert vorfinde, teils zerstört und in Trümmern, teils unkenntlich durch neue Bauten und wunderliche unerfreuliche Zeichen! Die Tränen waren 242
    ihm nahe, während er durch die Gassen ging, Haus um Haus wiedererkennend. Waren am Ende nicht doch die Seßhaften zu beneiden, in ihren hübschen sicheren Häusern, in ihrem befriedeten Bürgerleben, in ihrem beruhi-genden und starkenden Gefühl von Heimathaben, von Zuhausesein in Stube und Werkstatt, zwischen Weib und Kind, Gesinde und Nachbarschaft?
    Es war Spätnachmittag, und an der Sonnseite der Gasse standen die Häuser, die Wirts- und Zunftschilder, die geschnitzten Türen und die Blumentöpfe warm bestrahlt, nichts erinnerte daran, daß auch in dieser Stadt der wütende Tod und der irre Angstwahn der Menschen regiert habe. Kühl, hellgrün und hellbau strömte unter den tönenden Gewölben der Brücke der klare Fluß; Goldmund setzte sich eine Weile auf die Brüstung der Ufermauer, noch immer glitten unten im grünen Kristall die dunklen schat-tenhaften Fische hin oder standen regungslos, die Nasen gegen die Strömung gekehrt, noch immer blinkte aus den Dämmerungen der Tiefe hier und dort jenes schwache Goldleuchten herauf, das soviel verspricht und das Träumen so sehr begünstigt. Auch in anderen Wassern gab es das, und auch andere Brücken und

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