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Narziss und Goldmund

Titel: Narziss und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hm leid, wie sie da über die ge mähten Wiesen fortstrebte, von irgendeiner Macht gerufen und gezogen, einer unbekannten Macht, über welche er sich Gedanken machen mußte. Sie tat ihm leid, und auch er selbst tat sich ein wenig leid; er hatte da kein Glück gehabt, schien es, allein und etwas dumm saß er da, verlassen, sitzengeblieben. Indessen war er noch immer müde und schlaflüstern, noch nie war er so erschöpft gewesen.
    Es war später noch Zeit, unglücklich zu sein. Schon schlief er wieder und kam erst wieder zu sich, als ihm die schon hochgestiegene Sonne heiß machte.
    Jetzt war er ausgeruht; rasch erhob er sich, lief zum Bach, wusch sich und trank. Viele Erinnerungen kamen ihm jetzt, aus den Liebesstunden dieser Nacht dufteten wie fremde Blumen viele Bilder, viele holde zärtliche Empfindungen herauf. Ihnen sann er nach, während er rüstig zu wandern begann, fühlte alles nochmals, schmeckte, roch und tastete alles noch einmal und noch einmal. Wieviel Träume hatte ihm das fremde braune Weib erfüllt, wieviel Knospen zum Blühen gebracht, wieviel Neugierde und Sehnsucht gestillt und wieviel neue erweckt!
    Und vor ihm lag Feld und Heide, lag vertrocknetes Brachfeld und dunkler Wald, dahinter mochten Höfe liegen und Mühlen, ein Dorf, eine Stadt. Zum erstenmal lag die Welt offen vor ihm, off en und wartend, bereit, ihn auf zunehmen, ihm wohlzutun und wehzutun. Er war kein Schüler mehr, der die Welt durchs Fenster sieht, seine Wanderung war kein Spaziergang mehr, dessen Ende unweigerlich die Rückkehr war. Diese große Welt war jetzt wirklich geworden, er war ein Teil von ihr, in ihr ruhte sein Schicksal, ihr Himmel war der seine, ihr Wetter das seine.
    Klein war er in dieser großen Welt, klein lief er wie ein Hase, wie ein Käfer durc h ihre blau und grüne Unendlich keit. Da rief keine Glocke zum Aufstehen, zum Kirchgang, zur Lektion, zum Mittagstisch.
    O wie hungrig er war! Ein halber Laib Gerstenbrot, eine Schüssel Milch, eine Me hlsuppe – was waren das für zau berhafte Erinnerungen! Wie ein Wolf war sein Magen erwacht. An einem Kornfeld kam er vorüber, die Ähren waren halbreif, er enthülste sie mit Fingern und Zähnen, mahlte die kleinen glitschigen Körner mit Gier, holte immer neue, stopfte sich die Taschen mit Ähren voll. Und dann fand er Haselnüsse, noch sehr grüne, und biß mit Lust in die krachenden Schalen; auch von ihnen nahm er Vorrat mit.
    Nun begann wieder Wald, Fichtenwald mit Eichen und Eschen dazwischen, und hier gab es Heidelbeeren in unendlicher Menge, da hielt er Rast und aß und kühlte sich.
    Zwischen dem dünnen harten Waldgras standen blaue Glockenblumen, braune sonnige Falter flogen auf und verschwanden launisch in zackigem Flug. In einem solchen Walde hatte die heilige Genoveva gewohnt, ihre Geschichte hatte er immer geliebt. O wie gern wäre er ihr begegnet!
    Oder es mochte etwa eine Einsiedelei im Walde sein, mit einem alten bärtigen Pate r in einer Höhle oder Rinden hütte. Vielleicht hausten auch Köhler in diesem Walde, gern hätte er sie begrüßt. Es mochten selbst Räuber sein, ihm hätten sie wohl nichts getan. Schön wäre es, Menschen anzutreffen, irgendwelche. Aber er wußte freilich: vielleicht konnte er lang im Walde weitergehen, heut und morgen und noch manchen Tag, ohne jemand zu begegnen. Auch das mußte hingenommen werden, wenn es ihm so bestimmt war. Man durfte nicht viel denken, man mußte alles kommen lassen, wie es mochte.
    Er hörte einen Specht klopfen und versuchte ihn zu beschleichen; lange gab er sich vergeblich Mühe, ihn zu Gesicht zu bekommen, endlich gelang es ihm doch, und er sah ihm eine Weile zu, wie er einsam am Baumstamm klebte und hämmerte und den fleißigen Kopf hin und her bewegte. Schade, daß man nicht mit den Tieren sprechen konnte! Es wäre schön gewesen, den Specht anzurufen und ihm etwas Freundliches zu sagen und vielleicht etwas von seinem Leben in den Bäumen zu erfahren, von seiner Arbeit und seiner Freude. Oh, daß man sich verwandeln könnte!
    Es fiel ihm ein, wie er in Mußestunden manchmal gezeichnet hatte, wie er mit dem Griffel auf seiner Schreibtafel Figuren gezogen hatte, Blumen, Blätter, Bäume, Tiere, Menschenköpfe. Damit hatte er oft lange gespielt, und manchmal hatte er wie ein kleiner Herrgott Kreaturen nach seinem Willen ersch affen, er hatte in einen Blumen kelch Augen und einen Mund gezeichnet, er hatte ein aus dem Zweig sprossendes Blätterbündel zu Figuren gestaltet, er hatte einem Baum einen

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