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Narziss und Goldmund

Titel: Narziss und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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bereichert, war tiefer und vielfältiger geworden, es war nicht mehr das Bild seiner eigenen Mutter, sondern aus dessen Zügen und Farben war nach und nach ein nicht mehr persönliches Mutterbild geworden, das Bild einer Eva, einer Menschenmutter. So wie Meister Niklaus in einigen Madonnen das Bild der schmerzlichen Gottesmutter mit einer Vollkommenheit und Stärke des Ausdrucks dargestellt hatte, welche Goldmund unübertreffbar schien, so hoffte er selbst einst, wenn er reifer und des Könnens si cherer sei, das Bild der weltli chen, der Eva-Mutter so zu gestalten, wie es als ältestes und geliebtestes Heiligtum in seinem Herzen stand. Aber dies innere Bild, einst nur Erinnerungsbild seiner eigenen Mutter und seiner Liebe zu ihr, war in beständigem Wandel und Wachstum begriffen. Es hatten die Züge der Zigeunerin Lise, die Züge der Ritterstochter Lydia und manche andere Frau engesichter Eingang in jenes ur sprüngliche Bild gefunden, und nicht nur hatten alle Gesichter von gelie bten Frauen an dem Bilde weiter geschaffen, es hatte auch jede Erschütterung, jede Erfahrung und jedes Erlebnis an ihm gebildet und ihm Züge mitgegeben. Denn diese Gestalt, wenn es ihm später einst gelänge, sie sichtbar zu mach en, sollte ja nicht eine be stimmte Frau darstellen, sondern das Leben selbst als Urmutter. Oft glaubte er es zu sehen, manchmal erschien es ihm im Traum. Aber er hatte über dies Evagesicht und über das, was es ausdrücken sollte, nichts sagen können, als daß es die Lebenswollust in ihrer innigen Verwandtschaft mit dem Schmerz und dem Tode zeigen sollte.
    Im Laufe eines Jahres hatte Goldmund viel gelernt. Im Zeichnen war er schnell zu großer Sicherheit gekommen, und neben dem Holzschnitzen ließ ihn Niklaus gelegentlich auch das Modellieren in Ton versuchen. Sein erstes gelungenes Werk war eine Tonfigur, gut zwei Spannen hoch, es war die süße verführerische Gestalt der kleinen Julie, der Schwester Lydias. Der Meister lobte diese Arbeit, aber Goldmunds Wunsch, sie in Metall gießen zu lassen, erfüllte er nicht, ihm war die Figur zu unkeusch und weltlich, als daß er ihr hätte als Pate dienen mögen. Dann kam die Arbeit an der Figur des Narziß, Goldmund führte sie in Holz aus, und zwar als Jünger Johannes, denn Niklaus wollte sie, wenn sie gelänge, in eine Kreuzigungsgruppe stellen, die er in Auftrag hatte und an der die beiden Gehilfen seit langer Zeit ausschließlich arbeiteten, um die letzte Ausführung dann dem Meister zu überlassen.
    An der Narzißfigur arbeitete Goldmund mit tiefer Liebe, in dieser Arbeit fand er sich selbst, seine Künstlerschaft und seine Seele wieder, sooft er aus dem Geleise gekommen war, und das geschah n icht selten. Liebschaften, Tanz feste, Zechereien mit Kameraden, Würfelspiel und häufig auch Raufhändel rissen ihn heftig mit, daß er für einen oder mehrere Tage die Werkstatt mied oder verstört und verdrossen bei der Arbeit stand. An seinem Jünger Johannes aber, dessen geliebte sinnende Gestalt ihm immer reiner aus dem Holz entgegentrat, arbeitete er nur in den Stunden der Bereitschaft, mit Hingabe und Demut.
    In diesen Stunden war er wed er froh noch traurig, wußte weder von Lebenslust noch von Vergänglichkeit, es kehrte ihm jenes ehrfürchtige, lichte und rein gestimmte Gefühl im Herzen wieder, mit dem er einst dem Freunde hingegeben und seiner Führung froh gewesen war. Nicht er war es, der da stand und aus eigenem Willen ein Bildnis schuf, vielmehr war es der andere, es war Narziß, der sich seiner Künstlerhande bediente, um aus der Vergänglichkeit und Veränderlichkeit des Lebens herauszutreten und das reine Bild seines Wesens darzustellen.
    Auf diese Art, fühlte Goldmund manchmal mit einem Schauder, entstanden die echten Werke. So war des Meisters unvergeßliche Madonna entstanden, die er seitdem an manchem Sonntag im Kloster wieder aufgesucht hatte. So, auf diese geheimnisvolle und heilige Art, waren die paar besten von jenen alten Figuren entstanden, die der Meister oben in der Diele stehen hatte. So würde einst auch jenes Bild entstehen, jenes andere, jenes einzige, das ihm noch geheimnisvoller und ehrwürdiger war, das Bild der Menschenmutter. Ach, daß aus Menschenhänden doch einzig solche Kunstwerke hervorgehen möchten, solche heilige, notwendige, von keinem Wollen und keiner Eitel keit befleckte Bilder! Aber es war nicht so, er wußte es längst. Man konnte auch andere Bilder schaffen, hübsche und entzückende Sachen, mit großer

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