Narziss und Goldmund
hatte ihn erweckt, die Frauen hatten ihn wissend gemacht, die Wanderschaft hatte den Flaum von ihm gestreift. Freunde hatte er nicht, sein Herz gehörte den Frauen. Die konnten ihn leicht gewinnen, ein verlangender Blick war schon genug. Er konnte einer Frau nicht leicht widerstehen, er gab auf die leiseste Werbung Antwort. Und er, der eine sehr zarte Empfindung für Schönheit hatte und stets am meisten die ganz jungen Mädchen im Flaum ihres Frühlings liebte, er ließ sich dennoch auch von wenig schönen und nicht mehr jungen Frauen rühren und verführen. Auf dem Tanzboden blieb er zuweilen an irgendeinem ältlichen und mutlosen Mädchen hängen, das keiner begehrte und das ihn auf dem Wege des Mitleids gewann, und nicht nur des Mitleids, sondern auch einer ewig wachen Neugierde.
Sobald er sich einem Weibe hinzugeben begann – mochte das nun Wochen oder bloß Stunden dauern –, dann war sie schön für ihn, dann gab er sich ganz Und die Erfahrung lehrte ihn, daß jede Frau schön sei und zu beglücken vermöge, daß die Unscheinbare und von den Männern Mißachtete einer unerhörten Glut und Hingabe, die Verblühte einer mehr als mütterlichen, trauernd süßen Zärtlichkeit fähig sei, daß jede Frau ihr Geheimnis und ihren Zauber habe, dessen Erschließung selig machte. Darin waren alle Frauen gleich. Jeder Mangel an Jugend oder Schönheit wurde durch irgendeine besondere Gebärde aufgewogen. Nur allerdings vermochte nicht jede ihn gleich lange zu fesseln. Er war gegen die Jüngste und Schönste um keinen Grad liebevoller oder dankbarer als gegen eine Unschöne, er liebte niemals halb. Aber es gab Frauen, die ihn nach drei oder nach zehn Liebesnächten erst recht an sich banden, und andere, die schon nach dem erstenmal erschöpft waren und vergessen wurden.
Die Liebe und Wollust schien ihm das einzige zu sein, wodurch das Leben w ahrhaft erwärmt und mit Wert er füllt werden könne. Unbekannt war ihm Ehrgeiz, Bischof oder Bettler galt ihm gleich; auch Erwerb und Besitz vermochte ihn nicht zu fesseln, er verachtete sie, er hatte ihnen nie das kleinste Opfer gebracht und warf das Geld, das er zu manchen Zeiten reichlich verdiente, sorglos weg. Die Liebe der Frauen, das Spiel der Geschlechter, das stand ihm obenan, und der Kern seiner häufigen Neigung zu Traurigkeit und Überdruß wuchs aus der Erfahrung von der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit der Wollust. Das rasche, flüchtige, entzückende Auflodern der Liebeslust, ihr kurzes sehnliches Brennen, ihr rasches Erlöschen – dies schien ihm den Kern alles Erlebens zu enthalten, dies wurde ihm zum Bilde für alle Wonne und alles Leid des Lebens. Jener Trauer und jenem Vergänglichkeitsschauer konnte er sich mit ebensolcher Hingabe überlassen wie der Liebe, und auch diese Schwermut war Liebe, auch sie war Wollust. So wie die Liebeswonne im Augenblick ihrer höchsten, seligsten Spannung sicher ist, mit dem nächsten Atemzug hinschwinden und wiederum sterben zu müssen, so war auch die innigste Einsamkeit und Hingabe an die Schwermut sicher, plötzlich verschlungen zu werden vom Verlangen, von neuer Hingabe an die lichte Seite des Lebens Tod und Wollust waren eines. Die Mutter des Lebens konnte man Liebe oder Lust nennen, man konnte sie auch Grab und Verwesung nennen. Die Mutter war Eva, sie war die Quelle des Glücks und die Quelle des Todes, sie gebar ewig, tötete ewig, in ihr waren Liebe und Grausam keit eins, und ihre Gestalt wurde ihm zum Gleichnis und heiligen Sinnbild, je länger er sie in sich trug.
Er wußte, nicht mit Worten und Bewußtsein, aber mit dem tieferen Wissen des Blutes, daß sein Weg zur Mutter führe, zur Wollust und zum Tod e. Die väterliche Seite des L ebens, der Geist, der Wille, war nicht seine Heimat. Dort war Narziß zu Hause, und jetzt erst durchdrang und verstand Goldmund seines Freundes Worte ganz und sah in ihm sein Gegenspiel, und dies bildete er auch in seiner Johannesfigur und machte es sichtbar. Man konnte sich nach Narziß bis zu Tränen sehnen, man konnte wunderbar von ihm träumen – ihn erreichen, werden wie er aber konnte man nicht.
Mit irgendeinem geheimen Sinn ahnte Goldmund auch das Geheimnis sein er Künstlerschaft, seiner innigen Liebe zur Kunst, seines zeitweiligen wilden Hasses gegen sie.
Ohne Gedanken, gefühlhaft ahnte er in vielerlei Gleichnis sen: die Kunst war eine Vereinigung von väterlicher und mütterlicher Welt, von Gei st und Blut, sie konnte im Sinn lichsten beginnen und ins Abstrakteste
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