Narziss und Goldmund
Jahren und viel länger, und bleibt immer schön, und lächelt immer mit dem gleichen Munde, der ebenso blühend wie traurig ist.
Er hörte den Meister die Treppe herabkommen und lief in die Werkstatt. Meister Niklaus ging auf und ab, blickte wiederholt auf Goldmunds Zeichnung, blieb endlich am Fenster stehen und sagte in seiner etwas zögernden und trockenen Weise: »Der Brauch bei uns ist so, daß ein Lehrling mindestens vier Jahre lernt und daß sein Vater dem Meister dafür ein Lehrgeld bezahlt.«
Da er eine Pause machte, dachte Goldmund, der Meister fürchte, von ihm kein Lehrgeld zu bekommen. Blitzschnell zog er sein Messer aus der Tasche, trennte die Naht um den verborgenen Dukaten auf und fischte ihn heraus. Erstaunt sah Niklaus ihm zu und fing an zu lachen, als Goldmund ihm das Goldstück darreichte.
»Ah, so ist es gemeint?« lachte er »Nein, junger Mensch, dein Geldstück sollst du behalten. Höre nun zu. Ich sagte dir, wie es in unserer Zunft mit den Lehrlingen gehalten zu werden pflegt Aber wede r bin ich ein gewöhnlicher Lehr meister, noch bist du ein gewöhnlicher Lehrling. Nämlich ein solcher pflegt seine Lehrzeit mit dreizehn, vierzehn oder höchstens fünfzehn Jahren anzutreten, und die Hälfte der Lehrzeit hindurch muß er Handlangerdienste tun und den Pudel machen. Du abe r bist ja schon ein ausgewachse ner Bursche und könntest dem Alter nach längst Geselle oder sogar schon Meister sein. Einen Lehrling mit einem Bart hat man in unserer Zunft noch nie gesehen. Auch sagte ich dir ja schon, daß ich in meinem Haus keinen Lehrling halten will. Du siehst auch gar nicht aus wie jemand, der sich befehlen und herumschicken läßt.«
In Goldmund war die Ungeduld aufs höchste gestiegen, jedes der bedächtigen Worte des Meisters spannte ihn auf die Folter und schien ihm abscheulich langweilig und schulmeisterlich zu sein. Heftig rief er: »Warum saget Ihr mir das alles, wenn Ihr doch gar nicht daran denket, mich in die Lehre zu nehmen?«
Der Meister fuhr unerschüttert in seiner alten Weise fort: »Ich habe über dein Anliegen eine Stunde lang nachgedacht, nun mußt du auch die Geduld haben, mich anzuhören. Ich habe deine Zeichnung gesehen. Sie hat Fehler, aber sie ist dennoch schön. Wäre sie das nicht, so hätte ich dir einen halben Gulden geschenkt und dich entlassen und vergessen. Mehr will ich über die Zeichnung nicht sagen. Ich möchte dir helfen, ein Künstler zu werden, vielleicht bist du dazu bestimmt. Aber Lehrling kannst du also nicht mehr werden. Und wer nicht Lehrling war und die Lehrzeit abgedient hat, der kann in unserer Zunft auch nicht Gesell und Meister werden. Das sei dir im voraus gesagt. Aber einen Versuch sollst du machen. Wenn es dir möglich ist, eine Zeitlang hier in der Stadt zu bleiben, so kannst du zu mir kommen und einiges lernen. Es geschieht ohne Verpflichtung und Vertrag, du kannst zu jeder Stunde wieder gehen. Du kannst bei mir ein paar Schnitzmesser zerbrechen und ein paar Holzklötze verderben, und wenn es sich zeigt, daß du kein Holzschnitzer bist, mußt du dich eben zu anderem wenden. Bist du damit zufrieden?«
Mit Beschämung und Rührung hatte Goldmund zugehört.
»Ich danke Euch von Herzen«, rief er. »Ich bin heimatlos und werde mich hier in der Stadt ebenso durchzubringen wissen wie draußen in den Wäldern. Ich verstehe, daß Ihr nicht Sorge und Verantwortung für mich wie für einen Lehrbuben übernehmen wollet. Ich halte es für ein großes Glück, bei Euch lernen zu dürfen. Von Herzen danke ich Euch, daß Ihr das an mir tun wollt.«
Elftes Kapitel
Neue Bilder umgaben Goldmund hier in der Stadt, und ein neues Leben begann für ihn. So wie dies Land und diese Stadt ihn heiter, verlockend und üppig empfangen hatten, so empfing ihn dies neue Leben mit Freudigkeit und vielen Versprechungen. Blieb auch der Grund von Trauer und Wissen in seiner Seele unangetastet, so spielte ihm doch an der Oberfläche das Leben in allen Farben. Es war die fröhlichste und unbeschwerteste Zeit in Goldmunds Leben, die jetzt begann. Von außen kam ihm die reiche Bischofsstadt mit allen Künsten, mit Frauen, mit hundert angenehmen Spielen und Bildern entgegen, von innen beschenkte ihn sein erwachendes Künstlertum mit neuen Empfindungen und Erfahrungen. Er fand mit Hilfe des Meisters Unterkunft im Haus eines Vergolders am Fischmarkt und lernte beim Meister sowohl wie beim Vergolder die Kunst, mit Holz und Gips, mit Farben, Fir nis und Blattgold
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