Narziss und Goldmund
selbst aber war kein Vorbild für ihn.
Neben dem Künstler, der jene Mutter Gottes mit dem schmerzlichsten und schönsten Munde geschnitzt hatte, neben dem Seher und Wissenden, dessen Hände tiefe Erfahrungen und Ahnungen zu sichtbaren Gebil den umzu zaubern vermochten, wohnte in Meister Niklaus noch ein zweiter ein etwas strenger und ängstlicher Hausvater und Zunftmeister, ein Witwer, der mit der Tochter und einer häßlichen Magd ein stilles und etwas geducktes Leben in seinem stillen Hause führte, ein Mann, der sich gegen Goldmunds stärkste Triebe heftig wehrte, der sich in ein stilles, gemäßigtes, sehr geordnetes und anständiges Leben bequemt hatte.
Obwohl Goldmund seinen Meister verehrte, obwohl er sich niemals erlaubt hatte, andere über ihn auszufragen oder vor andern über ihn zu urteilen, wußte er nach einem Jahre doch bis ins kleinste alles, was irgend über Niklaus zu wissen war. Dieser Meister war ihm wichtig, er liebte ihn und haßte ihn ebenso, er ließ ihm keine Ruhe, und so drang der Schüler mit Liebe und mit Mißtrauen, mit immer wacher Wißbegierde in die Verborgenheiten seiner Art und seines Lebens ein. Er sah, wie Niklaus weder Lehrling noch Gesellen bei sich im Hause wohnen hatte, wo doch Raum genug war. Er sah, wie er nur sehr selten ausging und ebenso selten Gäste zu sich einlud. Er beobachtete, wie er seine schöne Tochter rührend und eifersüchtig liebte und sie vor jedermann zu verbergen suchte. Er wußte auch, daß hinter der strengen und früh-alten Enthaltsamkeit des Witwers noch lebendige Triebe spielten, daß er, wenn ein auswärtiger Auftrag ihn bisweilen auf Reisen führte, manchmal für einige Reisetage sich wunderlich verwandeln und verjüngen konnte. Und einmal hatte er auch das beobachtet, wie Niklaus in einem fremden Städtchen, wo sie e ine geschnitzte Kanzel aufstell ten, eines Abends im Verborgenen eine käufliche Dirne besucht hatte und nachher tagelang unruhig und böser Laune gewesen war.
Mit der Zeit gab es außer dieser Wißbegierde auch noch etwas anderes, was Goldmund in des Meisters Hause festhielt und ihm zu schaffen gab. Es war die schöne Tochter, Lisbeth, die ihm sehr gefiel. Er bekam sie selten zu Gesichte, sie betrat nie die Werkstatt, und er konnte nicht ergründen, ob ihre Sprödigkeit und Männerscheu ihr nur vom Vater aufgedrungen sei oder auch ihrer eigenen Natur entspreche. Daß der Meister ihn niemals wieder mit sich zu Tische nahm und ihm je de Begegnung mit ihr zu erschwe ren suchte, war nicht zu übersehen. Lisbeth war eine sehr kostbare und behütete Jungfer, so sah er, und für eine Liebe ohne Heirat gab es bei ihr keine Hoffnung; auch wer sie heiraten wollte, mußte erst noch guter Leute Kind und Mitglied einer der oberen Zünfte sein, womöglich auch noch Geld und Haus besitzen.
Lisbeths Schönheit, so anders als die der Landfahrer innen und Bauernweiber, hatte Goldmunds Augen schon an jenem ersten Tage auf sich gezogen. Es war etwas in ihr, das ihm noch unbekannt geblieben war, etwas Sonderbares, das ihn heftig anzog und doch zugleich mißtrauisch machte, ja ärgerte eine große Ruhe und Unschuld, eine Zucht und Reinheit, und dennoch keine Kindlichkeit, sondern hinter aller Artigkeit und Sitte eine versteckte Kälte, ein Hochmut, so daß ihre Unschuld ihn nicht rührte und wehrlos machte (er hätte niemals ein Kind verführen können), sondern ihn reizte und herausforderte. Kaum war ihre Gestalt ihm als inneres Bild ein wenig vertraut geworden, so fühlte er den Wunsch, von ihr einmal eine Figur zu schaffen, nicht aber so wi e sie jetzt war, sondern mit er wachten, sinnlichen und leidenden Zügen, keine kleine Jungfrau, sondern eine Magdalena. Oft ging sein Begehren danach, dieses ruhige, schöne und unbewegte Gesicht, sei es in Wollust oder in Schmerzen, einmal sich verzerren und aufblättern und sein Geheimnis preisgeben zu sehen.
Außerdem gab es noch ein anderes Gesicht, das in seiner Seele wohnte und ihm doch nicht ganz angehörte, das er einmal einzufangen und als Künstler darzustellen sehnlich begehrte, das sich ihm aber immer wieder entzog und verhüllte. Es war das Gesicht der Mutter. Dies Gesicht war schon seit langer Zeit nicht mehr dasselbe, wie es ihm einst, nach den Gesprächen mit Narziß, aus verlorenen Erinnerungstiefen wieder erschienen war. In den Tagen der Wanderung, in den Liebesnächten, in den Zeiten der Sehnsucht, den Zeiten der Lebensgefahr und Todesnähe hatte das Muttergesicht sich langsam verwandelt und
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