Narziss und Goldmund
undeutlichen Grund, dann sah man hier und dort irgend etwas mit gedämpftem Goldglanz aufblinken und verlockend glitzern, unerken n bare Dinge, vielleicht eine alte Tellerscherbe oder eine weggeworfene verbogene Sichel oder einen lichten glatten Stein oder glasierten Ziegel, manchmal auch mochte es ein Schlammfisch sein, eine feiste Trüsche oder ein Rotauge, das sich da unten umdrehte und einen Augenblick auf den hellen Bauchflossen und Schuppen einen Lichtstrahl auffing – niemals konnte man genau erkennen, was es eigentlich sei, immer aber war es zauberhaft schön und verlockend, dies kurze gedämpfte Aufblinken versunkener Goldschätze im nassen schwarzen Grunde. So wie dies kleine Wassergeheimnis, schien ihm, waren alle echten Geheimnisse, alle wirklichen, echten Bilder der Seele: sie hatten keinen Umriß, sie hatten keine Form, sie ließen sie nur wie eine ferne schöne Möglichkeit ahnen, sie waren verschleiert und vieldeutig. Wie da in der Dämmerung der grünen Flußtiefe für zuckende Augenblicke etwas unsäglich Goldenes oder Silbernes herblinkte, ein Nichts und doch voll seligster Versprechungen, ebenso konnte das verlorene Profil eines Menschen, halb von hinten gesehen, manchmal etwas unendlich Schönes oder unerhört Trauriges ankündigen, oder auch wie unter einem nächtlichen Lastwagen eine Laterne hi ng und die sich drehenden riesi gen Schatten der Radspeichen an die Mauern malte, konnte dies Schattenspiel ein e Minute lang so voll von Anbli cken, Geschehnissen und Geschichten sein wie der ganze Vergil. Aus demselben unwirklichen, magischen Stoff waren nachts die Träume gewoben, ein Nichts, das alle Bilder der Welt in sich enthielt, ein Wasser, in dessen Kristall die Formen aller Menschen, Tiere, Engel und Dämonen als allzeit wache Möglichkeiten wohnten.
Wieder vertiefte er sich in das Spiel, starrte verloren in den ziehenden Fluß, sah formlose Schimmer auf dem Grunde beben, ahnte Kö nigskronen und blanke Frauen schultern. Einstmals in Mariabronn, so erinnerte er sich, hatte er in den lateinischen und griechischen Buchstaben ähnliche Formträume und Verwandlungszauber gesehen.
Hatte er nicht damals mit Narziß einmal darüber gesprochen? Ach, wann war das gewesen, vor wieviel hundert Jahren? Ach, Narziß! Um den zu sehen, um mit dem eine Stun de zu sprechen, seine Hand zu halten, seine ruhige kluge Stimme zu hören, hätte er gern seine zwei Golddukaten gegeben.
Warum waren denn diese Dinge so schön, dies Gold geleucht unterm Wasser, diese Schatten und Ahnungen, alle diese unwirklichen und feenhaften Erscheinungen –
warum waren sie den n so unsäglich schön und beglü ckend, da sie doch genau das Gegenteil von dem waren, was ein Künstler Schönes machen konnte? Denn wenn die Schönheit jener unnennbaren Dinge ohne jede Form war und ganz nur aus Geheimnis bestand, so war es ja bei Werken der Kunst gerade umgekehrt, sie waren ganz und gar Form, sie sprachen vollkommen klar. Nichts war unerbittlich klarer und bestimmter als die Linie eines gezeichneten oder in Holz geschnittenen Kopfes oder Mundes.
Genau, haargenau hatte er die Unterlippe oder die Augenlider von Niklaus’ Marienfigur nachzuzeichnen vermocht, da gab es nichts Unbestimmtes, Täuschendes, Zerfließendes.
Goldmund dachte hingegeben darüber nach. Es wurde ihm nicht klar, wie es möglich sei, daß das denkbar Be stimmteste und Geformteste ganz ähnlich auf die Seele wirke wie das Ungreifbarste und Gestaltloseste. Eines aber wurde ihm bei dieser Gedankenübung dennoch klar, nämlich warum so viele tadellose und gutgemachte Kunstwerke ihm ganz und gar nicht gefielen, sondern trotz einer gewissen Schönheit ihm langweilig und beinah verhaßt waren. Werkstätten, Kirchen und Paläste waren voll von solchen fatalen Kunstwerken, er selber hatte an einigen mitgearbeitet. Sie waren so schwer enttäuschend, weil sie das Verlangen nach Höchstem erweckten und es doch nicht erfüllten, weil ihnen die Hauptsache fehlte: das Geheimnis. Das war es, was Traum und höchstes Kunstwerk Gemeinsames hatten: das Geheimnis.
Weiter dachte Goldmund ein Geheimnis ist es, das ich liebe, dem ich auf der Spur bin, das ich mehrmals habe aufblitzen sehen und das ich als Künstler, wenn es mir einmal möglich sein wird, darstellen und zum Sprechen bringen möchte. Es ist die Gestalt der großen Gebärerin, der Urmutter, und ihr Geheimnis besteht nicht, wie das einer anderen Figur, in dieser oder jener Einzelheit, in besonderer Fülle oder Magerkeit,
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