Narzissen und Chilipralinen - Roman
verlieren. Auf keinen Fall. Was muss ich tun, damit ich ihn behalten kann? Wie muss ich sein? Weniger Messie, die Chaostante, und mehr Miriam, die alle zu kennen glauben und doch niemand richtig kennt, nicht einmal Daniel?
»Ich will versuchen, mehr in der Bibel zu lesen.«
Daniel schaut mich überrascht an. »Klasse, tu es doch einfach.«
»Mehr« ist gut, denn ich habe das Buch der Bücher schon seit Monaten nicht mehr angerührt. Warum, könnte ich gar nicht mal sagen. Weil ich schon alle Geschichten kenne? Weil es mich langweilt?
Aber hier bin ich in Daniels Zimmer, hab bei der Fütterung seines Geckopärchens zugesehen und seine Bibel auf dem Nachttisch entdeckt. Was wohl heißt, dass er regelmäßig drin liest. Sofort fühle ich mich schuldig. Nein, nicht direkt schuldig. Eher minderwertig und auch ein bisschen traurig.
Er bemerkt meinen deprimierten Gesichtsausdruck. »Hey, niemand zwingt dich!«
»Ich weiß.« Ich drehe seine Volxbibel zwischen meinen Fingern herum und schlage sie versuchsweise auf. »Aber früher habe ich sie echt gerne gelesen. Irgendwann hatte ich einfach keine Lust mehr. Wenn mir diesmal wieder die Puste ausgeht, kann ich immer noch damit aufhören, nicht? Wo fange ich an? Bei Mose? Ich hab schon mindestens viermal bei Mose angefangen.«
»Du musst ja nicht von vorne bis hinten alles durchlesen. Wie wäre es mit einem Leseplan?«
Ich schüttele den Kopf. »Ich hab einen«, sage ich wenig begeistert. »Angeblich extra für Teens. Warum diese Professoren glauben, was sie da schreiben, sei für meine Altersstufe geeignet, wird mir wohl ewig ein Rätsel bleiben.«
»Dann bleibt nur Bibelroulette«, sagt Daniel.
»Was?«
Manchmal gibt dieser Typ echt merkwürdige Dinge von sich.
»Bibelroulette.« Er schaut mich vorwurfsvoll an, als könnte es gar nicht sein, dass ich nicht weiß, was das ist. »Du schlägst die Bibel einfach an verschiedenen Stellen auf. Hier einen Vers und dann dort, bis dich einer mitten ins Herz trifft.«
»Aaah«, sage ich langsam. »Kapiert. Bibelroulette.«
»Coole Methode, wenn man nicht weiß, was man lesen soll.«
»Wie lange dauert es bei dir, bis du auf einen Vers stößt, der trifft?«, erkundige ich mich.
Er zuckt die Achseln. »Manchmal ist es gleich der erste oder zweite. Manchmal kann es schon etwas dauern. Ich bevorzuge ja eher die Von-Anfang-bis-Ende-Methode beim Bibellesen, da bin ich gerade bei den Chroniken. Und Bibelroulette mache ich bloß mal so zwischendurch.«
»Wie viel Versuche gibst du dir denn? Was ist, wenn kein Vers trifft?«
Er grinst. »Dann bin ich wohl nicht in der richtigen Stimmung, um mich treffen zu lassen.«
»Du spinnst«, erkläre ich ihm liebevoll. »Bibelroulette, also wirklich.«
Jetzt muss ich mir rasch etwas einfallen lassen, damit er mich in punkto Kreativität nicht abhängt.
»Ich stelle mir gerade vor, dass es Verse schneit, so wie hinter der Fensterscheibe«, sagte ich. Große, dicke Schneeflocken landen auf dem Dachfenster und überziehen es mit einer weißen Schicht.
Ich zeige darauf. »Genauso schweben die Worte aus dem Himmel herab, dicke weiße Flocken, wie Federn«, schlage ich vor. »Als würde Frau Holle ihre Kissen ausschütteln oder ein Engel mit seinen Flügeln flattern. Wie findest du das? Das toppt dein Bibelroulette bei weitem!«
Daniel lacht. Er öffnet das Fenster und es schneit herein. Dicke, unförmige Flocken segeln durch die Luft und bringen einen Hauch von Kälte mit. Eine dieser Engelsfedern landet in meiner Hand, ganz weich und weiß und kostbar. Eine Schneeflocke, die auf meiner Nase schmilzt. Ein Wort, das in diesem Moment genau für mich bestimmt ist. Erfrischend. Kühl. Einzigartig.
Ja, denke ich, manchmal ist es eine Schneeflocke und manchmal eine Feder, je nachdem, was ich gerade brauche. Ich hatte schon lange keinen Schneeflockenmoment mehr.
Daniel legt seine Arme um mich. Und so stehen wir unter dem Dachfenster und es schneit um uns, und ich wünsche mir, wir könnten hier immer so stehen bleiben, bis sich die Schneewehen um unsere Knöchel anhäufen.
Doch schließlich macht er das Fenster wieder zu und seufzt bedauernd. »Sonst wird der Teppich nass. Ich hol mal kurz ein Handtuch, bevor meine Mutter entdeckt, dass es in meinem Zimmer geschneit hat.«
»Ich glaub nicht, dass sie mit dir schimpft«, sage ich. »Nicht jetzt. Sie ist bestimmt viel zu glücklich, um auf irgendwen böse zu sein.«
Seine Eltern sind gerade wieder im Krankenhaus, bei Sarah, wie in jeder
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