Narzissen und Chilipralinen - Roman
nennt.
»Wer ist denn dieser Salomo?«, fragt Tabita.
»Na, wer wohl? Finn natürlich«, sage ich. Ich lege den letzten Brief, den er erst diese Nacht geschrieben hat, dazu. »Das ist der neueste. Dieselbe Handschrift. Er schreibt immer noch an sie.«
Meine Sonne
,
Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, sodass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können
.
Kann es eine schönere Verheißung geben als diese? Stürme gehen über sie hinweg und können ihr nichts anhaben. Ströme können ihre Glut nicht auslöschen
.
Mit Tränen in den Augen
,
dein Salomo
17.
Wir sind alle ziemlich geplättet.
»Das ... ist aus dem Hohelied Salomos«, sage ich, bibelfest, wie ich bin. »Glaube ich jedenfalls.«
»Das ist unheimlich«, sagt Tabita leise. Sie streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr und sieht die Briefe noch mal gründlich durch. »Damit sollten wir zur Polizei gehen, wisst ihr das?«
»Es ist kein Beweis«, sagt Tom. »Nirgends stehen Namen.«
»Dafür haben wir ein Motiv«, überlege ich. »Sie ist schwanger geworden. Deshalb hat er sie um die Ecke gebracht.« Ich räuspere mich, denn diese flapsigen Worte passen nicht so recht dazu, dass Tine tatsächlich verschwunden ist. Außerdem gefällt mir nicht, was da über mich steht. Nein, das gefällt mir gar nicht. Ich will nicht in fremden Briefen vorkommen.
»Er hat sie nicht um die Ecke gebracht, weil sie schwanger ist, sondern weil sie sich von ihm trennen wollte«, vermutet Tabita.
Tom nippt an seinem Kaffee. »Das ist eine Nummer zu groß für uns«, meint er. Trotz der ungemütlichen Nacht sind wir so aufgedreht, dass wir die Müdigkeit gar nicht spüren.
»Was ist denn hier los?« Papa kommt in die Küche geschlurft. Ich hoffe, man sieht uns das Erschrecken über sein Erscheinen nicht an. »Es ist halb sieben am Wochenende.« Er entdeckt Tom, hinter seiner Stirn arbeitet es. »Guten Morgen, äh ...?«
»Tom«, wirft Tom hilfsbereit ein. »Morgen, Herr Weynard.«
Papa betrachtet ihn verwundert, vermutlich fragt er sich, was aus Daniel geworden ist. In der Tat, wenn ich versuche, uns mit seinen Augen zu sehen, könnte die Situation vielleicht etwas missverständlich wirken. Tom und ich sitzen auf der Küchenbank, so nah nebeneinander, dass sich unsere Arme berühren. Wir beugen uns über die Zettel auf dem Tisch, was uns einander noch näherbringt. Außerdem kleben wir nicht nur aneinander wie siamesische Zwillinge, sondern sind auch noch so angezogen – beide dunkel, wir sind beide zerzaust und übernächtigt wie nach einer besonders wilden Nacht. Und gleichzeitig ist die knisternde Energie in der Luft spürbar, während wir flüstern und versuchen, das Rätsel zu lösen, bei dem es um nicht weniger als um ein Menschenleben geht. Uns gegenüber sitzt Tabita, Mitverschwörerin, was hoffentlich den Eindruck, wir seien ein Paar, wieder abschwächt – oder sozusagen offiziell macht, was eine Katastrophe wäre.
»Seid ihr eben erst zurückgekommen?«, fragt Papa verwirrt. Er weiß, dass es manchmal spät wird, aber vermutlich hätte er nie gedacht, dass ich mich dermaßen spät noch irgendwo herumtreibe. Ich, seine süße kleine Miriam. Noch dazu mit einem attraktiven jungen Mann mit schwarzen Haaren und erstaunlich blauen Augen, der überdies nicht Daniel ist.
»Ich glaub, jetzt brauch ich auch einen Kaffee«, murmelt mein Dad und gießt sich seine »Papa ist der Beste«-Tasse randvoll ein.
»Ich muss los.« Tom hat sich für einen raschen Abgang entschieden. »Schönen Tag noch.«
Bevor mein Vater sich zu uns setzen kann und ein seelsorgerliches Gespräch über Töchter auf Abwegen anfangen kann, hat Tabita die Briefe zusammengeschoben und zurück in den Umschlag gesteckt.
Ich begleite Tom an die Tür. »Darüber sprechen wir noch«, sagt er leise. »Ich brauch erst mal ne Dusche, dann ruf ich bei Bastian an.«
»Tu das«, flüstere ich. »Bis nachher dann.«
Als ich mich umwende, sehe ich Papa an der Küchentür stehen und uns beobachten. Wollte er wissen, ob wir uns mit einem Kuss verabschieden? Oder warum sonst wirkt er fast ein wenig erleichtert?
Ich hasse diese sogenannten Klärungsgespräche. Vor allem dann, wenn ich ganz andere Probleme habe. Die Gedanken fahren Karussell in meinem Kopf. Hat Finn diese Briefe an Tine geschrieben? Aber warum sollte er sie dann unter seiner Matratze aufbewahren? Wo ist
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