Narzissen und Chilipralinen - Roman
Tom, du auch nicht. Finn kennt dich nicht, es gibt keinen Grund, dich da mit reinzuziehen. Miriam und ich, wir haben Finn besucht, er wird annehmen, wir haben die Briefe bei diesem Besuch mitgehen lassen.«
»Wohl kaum«, murmelte Miriam. »Da ist die aufgebrochene Balkontür. Der Brief, der von seinem Schreibtisch verschwunden ist. Finn ist nicht blöd, er wird sich denken, dass beides zusammengehört.« Auf einmal klang sie unendlich müde. Kein Wunder, nach einer solchen Nacht.
»Er könnte euch anzeigen!« Daran hatte offenbar keiner gedacht. »Ich finde, wir sollten ihm reinen Wein einschenken. Wenn er jetzt wirklich um Tine trauert, und dann eine solche Anklage – wen würde das nicht fertigmachen? Jeder verdient eine Chance.«
Miriam nickte. Überzeugt schien sie nicht. Daniel fand es schwer, logisch zu denken. Die Briefe. Tom und Miriam unter dem Bett. Verschwörer, die Tine suchten und dabei nicht vor einem Einbruch zurückschreckten.
»Hättest du denn mitgemacht, wenn wir es dir erzählt hätten?«, fragte sie leise, während sie ihre Räder über den Kiesweg schoben.
»Zunächst einmal hätte ich versucht, es euch auszureden. Eine andere Möglichkeit zu finden, in sein Zimmer hereinzukommen. Mensch, Miriam, letztes Mal war ich doch auch dabei. Wir hätten es nochmal versuchen können!«
Sie blieb stehen. Ihre Augen schwammen vor Tränen.
»Tut mir leid«, flüsterte sie. »Ehrlich.«
Mir entgeht der Blick nicht, den er Tom zuwirft, bevor wir davonfahren. Einen Blick, so kühl und hart wie ein Stein.
Zwischen uns herrscht dicke Luft. Wie öfter in letzter Zeit. Auf dem Weg zu Finn schweigen wir uns an.
Ich will nicht dahin, denke ich die ganze Zeit. Überall hin, nur nicht wieder in diese Wohnung.
»Wir sollten zur Polizei gehen«, versuche ich es ein letztes Mal, als wir schon vor dem Haus stehen.
»Mit unbewiesenen Anschuldigungen?«, fragt er zurück, und da halte ich den Mund und komme mit.
Finn ist alleine zu Hause, wie er uns sofort verrät. »Ich hab meine Mutter überredet, ihre Schwester zu besuchen. Ihr wisst schon, Sonjas Mutter. Wir sind also unter uns.« Er schaut von Daniel zu mir. Diesmal bietet er uns nichts an. »Verratet ihr mir, was hier eigentlich los ist?«
Daniel hat den Umschlag mitgebracht und legt ihn auf den Tisch. »Das hier ist los«, sagt er.
»Ah.« Finn lässt ein paar Sekunden verstreichen, bevor er die Hand ausstreckt und den Packen Briefe herausholt. »Gut, dass sie wieder da sind. Wie habt ihr das denn bloß angestellt?«
Daniel wird mich hassen, wenn ich lüge, aber um nichts in der Welt werde ich Finn erzählen, dass ich die Nacht unter seinem Bett verbracht habe. Lieber sterbe ich.
»Habt ihr meine Mutter bestochen, damit sie mein Zimmer durchsucht?«, will Finn wissen. Er ist immer noch freundlich, aber davon lasse ich mich nicht täuschen. Unter der Oberfläche brodelt es, da bin ich mir sicher. Wenn er nicht ganz blind ist, hat er doch längst die beschädigten Schlösser entdeckt.
»Sag uns einfach, was das für Briefe sind«, fordert Daniel.
Wenn man bedenkt, dass wir beide viel jünger sind als Finn, macht er sich wirklich viel Mühe, uns ernst zu nehmen.
Er streitet uns nicht einmal das Recht ab, ihm diese Frage zu stellen.
»Wer weiß noch davon?«, fragt er. »Nur ihr beide, hoffe ich?«
Daniel erstarrt, denn er mag nicht lügen, aber ich nicke. Es geht hier nicht darum, um jeden Preis die Wahrheit zu sagen, sondern darum, die Wahrheit herauszufinden. Ohne irgendjemanden sonst mit reinzureiten.
»Gut.« Er lächelt erleichtert. »Ich habe ihr nämlich versprochen, dass niemand davon erfährt.«
»Wem?«, frage ich. »Tine?«
Finn blickt mich überrascht an. »Wieso Tine? Das sind Sonjas Briefe. Sonja ist die Sonne, was dachtet ihr denn?«
Sonja? Wieso Sonja? Ich bin starr vor Schreck, während Finn weiterspricht.
»Sie hat sie mir gegeben und mich gefragt, was ich davon halte, weil sie ihr Angst machen.«
»Von wem sind sie?«, fragt Daniel.
Finn zögert. »Das bleibt aber unter uns. Sonja hat sich mir anvertraut und darauf bestanden, dass ich mit niemandem darüber spreche. Aber wenn ihr glaubt, dass ...« Er schüttelt den Kopf. »Tja, ich bin mir nicht ganz sicher, was ihr von mir glaubt. Diese Briefe hat Michael an Sonja geschrieben.«
»Michael?«, fragt Daniel entgeistert. »Unser Michael vom
Life and Hope
?«
Im Geist spule ich die Zeit zurück. Sonja, wie sie Michael zunickt, ihn anlächelt, wie ihre Blicke ihm folgen,
Weitere Kostenlose Bücher