Narzissen und Chilipralinen - Roman
fertig und macht die Lampe aus. Kleider fallen auf den Boden. Die Matratze über uns knarrt.
Das kann doch wohl nicht wahr sein! Finn geht schlafen? Gut, die Zeit ist schon fortgeschritten, aber er kann doch jetzt nicht einfach einschlafen und uns hier unten schmoren lassen!
Ich wage nicht, mich zu bewegen. Toms Haare kitzeln mich in der Nase. Der Teppich, auf dem wir liegen, ist staubig. Bestimmt muss ich gleich niesen. Ich atme möglichst langsam und gleichmäßig, damit ich auf keinen Fall lospruste.
Am liebsten würde ich Tom fragen, was wir jetzt machen sollen, aber ich traue mich nicht, ihm auch nur ins Ohr zu flüstern, denn direkt über uns schläft Finn. Wir müssen warten, bis er ganz fest schläft, will ich Tom sagen. Dann hauen wir ab, ja?
Ich sage nichts. Wir warten. Irgendetwas kratzt an meiner Nase, und ich muss den Kopf drehen, um der Ecke oder dem Draht auszuweichen, der aus dem Lattenrost ragt. Irgendwann schlafe ich ein, die Stirn an Toms Hinterkopf gelehnt, eng an seinen Rücken gepresst.
Die Welt ist dämmergrau, als ich erwache. Ich frage mich, wo ich bin und warum mir alles wehtut, dann fällt mir wieder ein, was los ist. Tom schläft wie ein Stein, aber offenbar ist Finn wach. Ich höre einen Wecker, der verstummt, als jemand etwas brummelt und dagegenschlägt. Vorsichtig versuche ich, die Ziffern auf meiner eigenen Uhr zu erkennen. Es ist noch schrecklich früh – halb sechs ungefähr. Sobald ich mich bewege, stoße ich wieder gegen die spitze Ecke, die mich schon nachts gestört hat.
Finn tappt barfuß aus dem Zimmer, ich höre, wie er die Tür öffnet. Dann die Badtür.
Sofort tippe ich Tom an. Jetzt müssen wir hier raus. Jetzt sofort! Er stöhnt leise. »Wach auf«, zische ich ihm ins Gesicht. Wieder kratzt etwas über mein Gesicht. Ich leuchte mit dem Handy und sehe, dass da etwas ist, was man normalerweise nicht unter der Matratze aufbewahrt. Mit beiden Händen fasse ich zu und ziehe einen Umschlag aus dem Lattenrost hervor. Einen großen braunen Umschlag. Tom krabbelt gerade unter dem Bett hervor, ich ihm nach. Aus dem Bad höre ich Wasser rauschen.
Tom ist schon auf dem Weg zur Tür, da drehe ich mich noch kurz zum Schreibtisch um. Ein weißes Blatt Papier liegt da, ein paar Zeilen hat Finn gestern Abend geschrieben, einen Brief, wie es aussieht. Ich schnappe mir das Blatt und bin schon an der Tür. Wir huschen auf den Flur und aus der Wohnung. Im Treppenhaus ist es still, alle schlafen noch. Heute ist Samstag, fällt mir ein. Draußen beginnt ein kalter, grauer Morgen. Ich fröstele, meine Finger krallen sich um den Umschlag.
»Was hast du da?«, fragt Tom.
»Keine Ahnung«, sage ich. »Wenn’s nicht wichtig ist, sorge ich dafür, dass er es wiederbekommt.«
Da ist schon sein Auto. Von den anderen keine Spur. Ich hoffe, dass Tabita längst in ihrem Bett liegt. Tom lehnt den Kopf gegen die Nackenstütze und fährt sich übers Gesicht. »Du meine Güte«, murmelt er. Dann lacht er. »Das war ja eine Nacht!«
»Jetzt könnte ich einen Kaffee gebrauchen«, sage ich, obwohl ich Kaffee nicht ausstehen kann. Aber wer könnte sich nach so einem Abenteuer einfach ins Bett legen?
»Bei mir oder bei dir?«, fragt er.
»Bei mir«, sage ich. »Noch später sollte ich wirklich nicht nach Hause kommen. Außerdem will Tabita bestimmt dabei sein, wenn wir Finns Sachen durchsuchen.«
»Guck lieber erst rein«, meint er. »Nicht, dass wir da nur ein paar schmutzige Zeitschriften haben und du sie noch vor deiner Schwester auspackst.«
Ich öffne den Umschlag und vergewissere mich, dass es sich nicht um einschlägige Magazine handelt.
»Nein«, sage ich, »das ist etwas anderes.«
Wenig später sitzen wir am Küchentisch, schlürfen den stärksten Kaffee, den ich je getrunken habe, und bestaunen unsere Beute. Tabita musste ich dazu nicht wecken; sie war an der Haustür, bevor ich davorstand, und hat uns reingelassen.
»Wo bleibt ihr nur«, hat sie gezischt. »Ich hab die ganze Nacht gewartet und mir Sorgen gemacht!«
Ich bin so froh, dass sie schon heile da ist, dass ich mich dazu hinreißen lasse, sie zu umarmen. Nur aus Dankbarkeit, dass ihr nichts passiert ist.
»Also ... was ist das?« Sie hat natürlich sofort gemerkt, dass wir etwas mitgebracht haben.
»Briefe«, sage ich. »Äußerst komische Briefe, jedenfalls auf den ersten Blick.«
Auch auf den zweiten Blick sind die Briefe komisch. Es ist eine ganze Sammlung, alle an ein Mädchen, das der Schreiber »meine Sonne«
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