Narzissen und Chilipralinen - Roman
Entscheidung von Victoria, nach Hause zu fahren. Mir tut alles weh, ich bin diese Art Anstrengung einfach nicht gewöhnt, und ich habe keine Lust, in ein Unwetter zu geraten.
Wir kommen irgendwie nicht vom Fleck. Ich drehe mich um. Finn hat sein Paddel weggelegt. Kein Wunder, dass wir zur Seite abtreiben. Allein gegen die Strömung? Keine Chance.
»Hast du Sonja nach Michael gefragt?«, will er wissen. »Du hast versprochen, du hältst dicht. Sie würde es sowieso abstreiten.«
»Sie ist meine Freundin. Sie hat überhaupt nichts mit ihm.« Ich habe wieder ihr Gesicht vor Augen. Sie spricht nicht viel, aber sie taut mir gegenüber langsam auf, sie lacht immer offener, sie zeigt immer mehr, wer sie ist. Ja, ich denke schon, dass sie mir erzählen würde, wenn sie mit Michael zusammen wäre.
»Und worüber habt ihr dann vorhin geredet? Über mich?«
»Du leidest an Verfolgungswahn«, stelle ich fest.
»Ist ja wohl kein Wunder«, meint Finn. »Du stellst mir nach, du brichst sogar bei mir ein, du klaust meine Briefe ... du bist wie ein böser Geist, der mich verfolgt.«
Das kann ich ja gar nicht haben. »Nenn mich nicht so!«, zische ich. »Also ... also sind es doch deine Briefe? Ja, natürlich sind sie das. Und sie sind an Tine gerichtet.«
»Woher willst du das wissen?« Er lacht, unsicher.
»Du hast einen Fehler gemacht«, sage ich. »In einem Satz erwähnst du ihren Namen.«
»Hab ich nicht!«, ruft er, und im selben Moment wissen wir beide, dass er sich verraten hat.
Endlich – zugegeben, ein wenig spät – trifft die Erkenntnis ein, nach der ich vorhin bei der Rast gesucht habe. Woher ich dieses verschnörkelte »i« kenne. »Auf den Bögen vom Theaterstück – das war gar nicht deine Schrift! Sondern Sonjas. Ich dachte immer, du hättest darin herumgestrichen, aber sie war es selbst. Dieselbe Schrift wie bei ihrer Widmung.«
»Ich wollte die Dialoge verbessern, aber sie hat sich ja mit Händen und Füßen gesträubt und darauf bestanden, es selbst zu tun«, knurrt er. »Aber wie kommst du jetzt darauf? Was hat das denn damit zu tun?«
Er ahnt ja nicht, dass ich dachte, ich hätte eine Schriftprobe von ihm. Immer noch bin ich ziemlich geplättet. Und warum bin ich eigentlich nicht auf die Idee gekommen, die Briefe mit Michaels Schrift zu vergleichen? Ich könnte mir gegen die Stirn hauen. Miss Superdetektiv? Ha! Schön wär’s.
»Ich fasse es nicht. Wir hätten dir kein Wort glauben dürfen!«
Auf einmal beginnt das Boot bedenklich zu schwanken. Finn ist aufgestanden.
»Was hast du vor?«, frage ich. »Setz dich wieder hin, sonst kippen wir um!«
Ich schaue vorsichtig über die Schulter. Er steht breitbeinig im Kanu, das Paddel in der Hand. Das Kanu schaukelt noch stärker hin und her, als ich zurückweiche. Wasser schwappt hinein. Da dreht sich der Himmel plötzlich um hundertachtzig Grad und das Wasser des Flusses schlägt über mir zusammen.
Dann wird alles dunkel.
20.
Daniel sah die anderen Boote nur hin und wieder, bevor das Kanu um die nächste Biegung fuhr. Aber das Lachen und Schreien der anderen erinnerte einen daran, dass man hier nicht alleine war. Kevin machte gerade wieder einen Witz. »Wie ertränkt man eine Blondine?«
»Blondinenwitze verboten!«, rief Kati und schnippte ihm gegen den Hinterkopf.
»Man legt einen Spiegel auf den Grund eines Swimmingpools! Ha! Haha!«
Kati ließ ihr Paddel los und boxte ihn zwischen die Schulterblätter. »Die sind so was von out!«
»He, halt dein Paddel fest!«, rief Daniel, der hinten saß.
In dem Moment hörte er das Geschrei. Zuerst dachte er, es wäre bloß das normale Lärmen ausgelassener Hopis. Dann hörte er die Worte heraus.
»Alle zurück! Mann über Bord! Halt!«
»Was ist denn los?«, fragte Kevin.
»Wir können hier nicht anhalten«, sagte Kati. »Die Strömung ist viel zu stark. Lass uns dahinten anlegen.«
Sie lenkten das Boot an eine grasige Stelle, an der die Bäume zurücktraten, und warteten auf das Kanu, das nach ihnen kam, um zu erfahren, was es gab.
Es dauerte endlos. Irgendwann trudelten die nächsten ein. Sie konnten auch nicht erklären, was los war, aber immerhin hatten sie mitgekriegt, dass etwas nicht stimmte. »Da ist wohl jemand ins Wasser gefallen oder so.«
»Macht nichts. Wir haben alle Ersatzklamotten mit«, meinte Kevin. »Ich helfe auch gerne beim Umziehen. Kommt halt drauf an, wer es ist.«
»Du«, warnte Kati und knuffte ihn erneut. Sie schien Kevin überhaupt gerne zu schlagen.
Zum Glück,
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