Narzissen und Chilipralinen - Roman
ein.
Dein Salomo
. Ach, es ist verrückt! Kaum gewöhne ich mich daran, dass Finn tatsächlich unschuldig ist, wird Michael mir zutiefst suspekt. Man sollte nie fremde Liebesbriefe lesen. Was geht es mich an, wie andere sich heimlich betiteln? Sonne und Salomo. Bitte schön, wenn ihr das so mögt. Ich nenne meinen Freund lieber beim Namen.
»Hi, Daniel.«
Ich tippe ihm auf die Schulter.
»Hi.« Er lächelt mich an. Seine ernsten Augen sind für mich ein Wunder. Es durchfährt mich immer noch ein Schlag, wenn ich seinem Blick begegne, fast jedes Mal.
»Kann ich dich kurz sprechen?«
Ich lotse ihn von der Gruppe fort. »Michael war es nicht«, sage ich. »Er hat Toms Vater nicht überfahren. Finn hat sich getäuscht, er hatte den Wagen in der Werkstatt und sich seine Gedanken gemacht, aber Gott sei Dank, er hat sich geirrt.« Ich strahle ihn an. »Sind das nicht tolle Nachrichten?«
Daniel unterbricht mich. »Wovon redest du? Toms Vater?«
»Na, der Mann, der angefahren wurde und gestorben ist. Ich hab dir doch davon erzählt. Und nun rate mal, die Polizei hat den Fahrer gefasst, und es ist überhaupt nicht Michael!«
Er starrt mich verständnislos an. »Woher weißt du das?«
»Tom wird es ja wohl wissen. Er sagt, sie haben ihn endlich.«
In diesem Moment wird mir klar, dass ich mich verraten habe. Daniel hat mich gestern Abend an der Haustür abgeliefert. Jetzt ist es acht Uhr in der Früh.
»Du hast mit ihm gesprochen? So spät telefoniert ihr noch miteinander?«
»Äh ...« ist alles, was ich herausbringe.
»Seid ihr wieder in irgendwelche Wohnungen eingebrochen?«, fragt er betont lässig. »Habt ihr in fremden Betten herumgelegen?«
»Wir waren bloß tanzen«, verteidige ich mich. »Ich hätte dich gefragt, aber du hast ja nie Lust dazu.«
»Also machst du lieber heimlich mit Tom rum.«
Mir steigen die Tränen in die Augen. »So ist es gar nicht!«, fange ich an und verstumme sofort wieder, denn ... doch, irgendwie, ja. Daniel hat wieder einmal recht. Ich treffe mich hinter seinem Rücken mit Tom, mit dem Jungen, über den ich hundertzwanzig Liebesgedichte geschrieben habe, obwohl mir doch klar sein müsste, dass ich damit Daniel verletze. Ich bin nicht besonders gut darin, alles richtig zu machen.
Mir fällt nichts zu meiner Verteidigung ein, und Daniel wendet sich ab und lässt mich einfach stehen.
Sonja winkt mir zu. »Ich fahr bei Michael mit!«, ruft sie. War ja auch klar. Daniel steigt mit ein paar anderen Jungs ins Boot, ohne sich nach mir umzudrehen, ohne mich überhaupt zu beachten. Ich bin Luft für ihn, und ich kann es ihm nicht einmal verdenken. Immer noch spüre ich Toms Kuss auf meiner Haut, spüre seinen Körper an meinem, während wir tanzen ...
Das ist etwas, was ich mit Daniel niemals haben werde, denn Daniel kann nicht tanzen. Daniel hasst fast alles, was ich für mein Leben gern tue. Ich frage mich, wie wir beide je auf den Gedanken gekommen sind, das mit uns beiden könnte klappen.
Jemand tippt mir auf die Schulter, und als ich mich umdrehe, steht Willi hinter mir. Er reicht mir die letzte Schwimmweste, alle anderen sind schon verteilt. »Die brauchst du.«
Missmutig streife ich sie über. Es ist kühl so früh am Morgen, ein frischer Wind weht über den Fluss und lässt die Blätter rascheln.
»Bestimmt falle ich gleich ins Wasser«, sage ich. »Dann kann ich gleich hierbleiben und wieder nach Hause fahren.«
»Unsinn«, meint Willi. »Jetzt komm schon. In unserem Kanu ist noch ein Platz übrig. Wollen wir?«
Finn und Victoria tragen das letzte der schlanken blauen Boote zur Anlegestelle. Mist, mein Rucksack ist in dem anderen Kanu, in Sonjas Boot. Vor der Pause komme ich nicht an meine Sachen heran.
Einer nach dem anderen steigt ein. Der Bootsverleiher hält es fest, während ich mich als Letzte auf einer der Sitzbänke niederlasse. Es war gar nicht so schwer, und ich bin nicht einmal nass geworden.
»Das ist dein Paddel«, sagt Victoria. »Du musst mitmachen, Miriam, wir sind eh schon die Letzten.«
Die anderen paddeln bereits auf den Fluss hinaus. Ihr Lachen und Rufen schallt zu uns herüber.
»Schneller!«, ruft Willi. »Die holen wir ein!«
Das Licht glitzert auf dem Aubach. Ich liebe diesen Fluss. Mit diesem Wasser verbinde ich alles Schöne und alles Schreckliche, was mir je passiert ist.
»Sodass auch Ströme die Liebe nicht auslöschen können«, flüstere ich vor mich hin. Es ist wie ein Gebet. Bitte, lass die Liebe nicht vergehen, lass sie andauern
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