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Narzissen und Chilipralinen - Roman

Narzissen und Chilipralinen - Roman

Titel: Narzissen und Chilipralinen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Dalinger
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dachte Daniel, wird Miriam nicht handgreiflich, wenn sie sauer ist. Sonst hätte ich bestimmt überall blaue Flecken.
    »Gehen wir an Land zurück«, schlug er vor, »dann sehen wir hoffentlich, was los ist.«
    »Was glaubst du, wie müde ich bin?«, meinte Kati und rieb sich die Arme. »Ich bleibe hier.«
    Die Mädchen aus dem anderen Boot – Angelika, Nele und Regine – beschlossen ebenfalls, zu warten.
    Kevin nickte ihm zu, und gemeinsam schlugen sie sich durch die Uferbepflanzung. Der Fluss wand sich wie ein graues Band durch den Wald. Die Wolken über ihnen wurden dichter, erste Tropfen fielen.
    »Jetzt kommen wir nicht mehr rechtzeitig an«, schimpfte Kevin.
    Es gab keinen Zweifel, dass sie die richtige Stelle erreicht hatten. Die beiden letzten Kanus waren umgekehrt, das dritte schwamm kieloben. Einige standen am Ufer und schauten angestrengt ins Wasser, ein paar telefonierten. Schon waren Martinshörner zu hören, gellten durch die Luft, mischten sich mit den Rufen der Jugendlichen.
    Daniel überlief es kalt. Sie riefen immer denselben Namen.
    »Miriam? Was ist mit Miriam?«
    Er packte den Nächstbesten an der Schulter. »Nun sag schon, was ist mit ihr? Was ist passiert?«
    Finn kroch vor ihnen aus dem Wasser, seine Lippen waren blau angelaufen. Er zitterte, und jemand legte ihm eine Decke über die Schultern.
    »Das Boot ist umgekippt«, sagte eine Stimme neben Daniel. Möglicherweise Michael. Daniel konnte ihn nicht klar sehen, er nahm alles nur noch wie durch einen Schleier wahr. »Das Boot von Finn und Miriam. Und sie ist nicht mehr aufgetaucht.«
    »Nein!« Er wollte losspringen, aber Michael hielt ihn fest. »Lass nur, die anderen suchen schon. Es sind schon genug Leute im Wasser.«
    Er schüttelte Michael ab, dachte gerade noch daran, die Schuhe abzustreifen, und warf sich ins Wasser, über das die Lichter des Krankenwagens, der gerade eintraf, bläuliche Funken tanzen ließen.
    »Die Strömung war an dieser Stelle sehr stark«, sagte Michael. Vielleicht zum hundertsten Mal. Es lag in der Natur der Menschen, eine Erklärung zu verlangen, irgendeine logische Begründung.
    Daniel hatte innerlich abgeschaltet und hörte nicht zu, und dennoch entging ihm kein Wort. Seine Mutter hatte ihm heißen Kakao gemacht und ihn zugedeckt, als sei er wieder ein kleines Kind. Er hatte einfach alles mit sich machen lassen, obwohl es nicht half.
    »Sie hat ihr Paddel verloren, danach gegriffen, sich zu weit rausgelehnt. Es trieb an ihr vorbei, sie wollte es erwischen, Finn hat zu heftig gelenkt, dann sind sie umgekippt. Er ist aufgetaucht und sie war nicht da.«
    »Finn hätte sofort Hilfe holen müssen«, sagte Daniel.
    »Wie denn? Sein Handy lag irgendwo auf dem Grund des Flusses. Er hat nach ihr gesucht, wie verrückt gesucht. Dann hat er nach uns gerufen. Schließlich ist er ans Ufer und hat versucht, uns zu Fuß einzuholen. Wir waren so laut, dass wir ihn nicht gleich gehört haben.«
    Sie hatten Miriam immer noch nicht gefunden. Die Polizei war gekommen, hatte beide Uferzonen in Strömungsrichtung abgesucht. Nur ihre Schwimmweste hatten sie aus dem Schilf gefischt. Dass es immer stärker regnete und schließlich wie aus Eimern schüttete, hatte die Arbeit nicht leichter gemacht.
    »Das Dumme ist, dass sie gerade vorher ihre Schwimmweste ausgezogen hatte. Um sich ihre Regenjacke überzuziehen. Es hat gerade angefangen zu tröpfeln. Deshalb hat sie ihr Paddel zur Seite gelegt.«
    Daniel hatte die Ellbogen auf die Knie aufgestützt und sein Kinn in den Händen vergraben.
    Michael seufzte. »Gut«, sagte er leise. »Ich geh dann mal. Wenn du etwas Neues erfährst, sagst du mir dann Bescheid?«
    Jedes Wort fiel Daniel schwer, er sprach, als würde er gegen den Strom schwimmen. »Erst Tine, jetzt Miriam ...«
    »Ja«, sagte Michael leise. »Manchmal kommt das Unglück geballt wie ein Sturm, der über uns hereinbricht.«
    Wie um seine Worte zu unterstreichen, klatschte der Regen gegen die Scheibe. Vor einer Ewigkeit hatte es durch dieses Fenster geschneit und sie hatten dort gestanden, während um sie her die Schneeflocken wirbelten ...
    Eine Hand auf seiner Schulter. Das bedeutete mehr als alle Erklärungen, als jeder Versuch, Worte zu finden. Dann ging Michael hinaus und ließ ihn allein.
    Er konnte nicht schlafen. Er wartete, beobachtete die Leuchtziffern der Uhr. Irgendwann stand er auf, zog sich an. Ging nach unten. Es regnete immer noch. Obwohl es so spät war, saßen seine Eltern noch im Wohnzimmer und

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