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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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sagen, will ihr erklären, dass es mir leidtut, und will mich vor allem bei Glahnz für meine schrecklich spitze Zunge entschuldigen.
    In dem Moment tritt die Katastrophe auf. Mitten aus dem Zuschauerraum. Sie trägt ein knallrotes Kleid zu passenden knallroten Schuhen, ihre schwarzen Haare stehen strähnig ab, und ihr sonst so perfektes Make-up ist verschmiert. Die loose Skandalnudel, die ihrem Namen heute alle Ehre macht. Sie scheint alkoholisiert zu sein, denn sie schlingert gewaltig, als sie den Mittelgang Richtung Bühne läuft. Sämtliche Kameras schwenken sofort in ihre Richtung und zeigen ihr wutverzerrtes Gesicht in Großaufnahme. Sorina Loos hat indessen das Ziel ihres Angriffes entdeckt und wankt auf ihren Liebhaber zu.
    »Arschloch!«, lallt meine Chefin und verpasst Froschmaul eine schallende Ohrfeige direkt auf die Koteletten.
    Das ist der Moment, wo Reifenstein im Laufschritt Richtung Regieraum flüchtet, Beatrice Kleidermann zum ersten Mal an diesem Abend lacht und Ramy mit wenigen entschlossenen Schritten zu mir eilt und mich in den Arm nimmt. Einige Produktionsassistenten und zwei Mitarbeiter der Security versuchen, die Loos aus dem Studio zu zerren. Sie drischt immer noch auf Froschmaul ein, der wie ein Mädchen nach Hilfe ruft.
    Inmitten all des Wahnsinns sitzt Florian Glahnz, als wohnte er einer misslungenen Theateraufführung bei. Das Letzte, das ich sehe, ehe Ramy mich mit sanfter Gewalt vom Ort des Geschehens wegzieht, ist das traurige Lächeln auf den Lippen des Autors. Dann gehen endlich die roten Lichter aus, und auf der Videowand und den Monitoren erscheint ein fetter Schriftzug:
     
    Störung! Bitte entschuldigen Sie! Es geht gleich weiter …
     
    Liebst du schon oder lebst du noch?
     
    @versager
    Freitag, 18. November
     
    In einer vernetzten Welt sind Urteile schnell ausgesprochen. Ein einziger Klick schließt das Fenster, das ein anderes Leben enthält. Mit kaum mehr als dem Zucken des Zeigefingers geben wir der Öffentlichkeit bekannt, was uns gefällt. Routiniert definieren wir uns über eine Daumen-hoch-Entscheidung wie einst der Monarch auf seinem Thron. Dabei übersehen wir aber, dass wir auf die gleiche Art bewertet werden. Das ist die Demokratie des Individualismus.
    »Ich will Mitglied im Mauerblümchenclub sein, damit ich nicht irgendwann so werde wie die andere Frau«, schreibt mir @alicialise, siebzehn Jahre alt, heute Morgen vor der Mathestunde via Twitter.
    Die andere Frau, das ist immer jemand, für den man selbst die andere Frau ist. Wir postulieren die eigenen Lebenskonzepte, als wären es Glaubenssätze einer Generation von Antihelden. Niemand will mehr der Held sein, keiner krönt sich zum König seines virtuellen Reiches. Stattdessen teilen und retweeten wir unentwegt fremde Meldungen und verewigen unseren Daumenabdruck auf dem Touchpad wie die Stars ihre Hände am Hollywood Boulevard. Was missfällt, wird ignoriert oder zu Tode kommentiert, bis das World Wide Web nur noch aus zufriedenen Monologisierern besteht, die ihrer in Stein gemeißelten Meinung ein 3 D-Podest photoshoppen.
    Es ist also bewiesen: Liebe führt von Lust zu Frust, und Beziehungen können scheitern. Das passiert grundsätzlich immer den anderen. Im hormonellen Superrausch wird diese Möglichkeit ausgeblendet und später unter den Perserteppich gekehrt. Denn solo sind nur Versager.
    Auf der anderen Seite jetten heitere, Nicht-mehr-so-jung-Gesellen durch die Möglichkeiten serieller Orgasmen, bis sie eines Tages nach Muttis frühzeitigem Dahinscheiden allein den Christbaum schmücken. Worauf sie in akuter Torschlusspanik ein Profil bei Literally in Love einrichten. Die Geschiedenen werden im ersten Durchgang von der Vorschlagsliste gelöscht. Denn getrennt sind nur Versager.
    Ich frage mich, was einen Versager ausmacht. Ist es die Nichterfüllung vorgegebener gesellschaftlicher Normen oder das Scheitern der eigenen Wunschvorstellung? Und wie sehr ist Versagen auch das Resultat falscher Entscheidungen?
    Wenn einem das »Ja« auf der Zunge liegt, doch die dazugehörige Frage die falsche ist, dann hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man begibt sich ans sichere Land und macht sich nie mehr die Füße nass oder man springt ins kalte Wasser. In beiden Fällen kann man versagen, und von jeder Position aus gesehen ist man die andere Frau. Ist ein Datingstopp tatsächlich die Lösung, oder braucht es nur die richtige Fährte, um unsere Zeitrechnung durcheinanderzubringen? Ich warte.
     
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