Naschmarkt
Mauerblümchenclub war weniger meine Idee als ein Social-Media-Phänomen. Ich bin selbst überrascht vom Ausmaß des Interesses, es zeigt mir allerdings auch, wie groß der Bedarf nach Inhalten und Aktionen für alleinstehende Menschen ist. Ich bin von der Resonanz überwältigt.«
»Ihr Blog ist ja zeitlich begrenzt. Würden Sie sich denn eventuell überreden lassen, so etwas wie der Singleguru des Landes zu werden? Das First Mauerblümchen sozusagen. Ich finde ja, Österreich braucht eine Frau, die sich hinstellt und sagt: Liebe gibt es nur im Kopf.«
Das Saalpublikum lacht laut, und die Kleidermann sieht sehr zufrieden aus. Ich spüre wie immer allzu deutlich, dass sich meine Wangen tiefrot verfärben. Warum, um Himmels willen, bin ich eigentlich in diese verfluchte Sendung gekommen?
»Aber weil wir beim Thema Liebe sind, einen Liebesguru hat dieses Land ja längst, und es ist mir eine große Freude, ihn als dritten Bittsteller begrüßen zu dürfen.«
Alarmiert sehe ich Ramy an, dessen Stirn in malerischen Falten liegt. Von einem dritten Gast war nie die Rede, weder im Vorfeld noch in der heutigen Besprechung.
»Er hat sich dankenswerterweise ganz spontan bereit erklärt, heute zur Audienz zu erscheinen. Kanzler!«
Der Kanzler erhebt sich und sagt: »Bittsteller Nummer drei: Untertan Florian Glahnz, der Autor, der mit
Amors Feder
ein literarisches Manifest für die Liebe verfasst hat und damit für den Romantika-Literaturpreis nominiert ist.«
Unter Standing Ovations öffnet sich neuerlich das Schlosstor. Ich sehe noch, wie der König das Hühnchenzepter hebt, doch von den weiteren Vorgängen um mich herum bekomme ich kaum etwas mit. Denn es gelingt mir nicht, den Blick von dem Mann abzuwenden, der mit lässigem Schritt und unter den Arm geklemmtem Huhn die Treppe herabsteigt. Seine durchdringend blauen Augen blitzen im Scheinwerferlicht auf. Das hässliche Kinnbärtchen ist verschwunden, ebenso die riesige Nerd-Brille. Nur die Haare sind noch genauso wild frisiert wie vor zwei Wochen, aber abgesehen davon könnte man ihn wohl als attraktiven Mann bezeichnen. Vor lauter Schock vergesse ich beinahe, zu atmen. Erst als die roten Lichter der Kameras schon vor meinen Augen verschwimmen, hole ich tief Luft und muss husten.
Der blaue Blick richtet sich auf mich, und ein leichtes Lächeln breitet sich um seinen Mund aus, als er sein Huhn auf dem Silbertablett plaziert und auf dem Stuhl neben Beatrice Kleidermann Platz nimmt. Reifenstein sagt etwas, doch in meinen Ohren rauscht es noch zu sehr, um den Wortlaut zu verstehen. Ich studiere die Gesichtszüge meines Gegenübers und suche nach Anzeichen für einen Irrtum. Aber nein, kein Zweifel.
Joanne K. Rowling,
meine Speeddating-Bekanntschaft ist niemand anderes als das stumme H, Florian Glahnz. Mein ganz persönliches rotes Licht signalisiert einen herannahenden Sturm. Und zwar einen gewaltigen!
»Untertanin Wilcek?« Roman Reifenstein sieht mich mit hochgezogenen Brauen an. Glahnz, offenbar zufrieden, meine volle Aufmerksamkeit zu genießen, grinst angesichts meines Hängers vergnügt.
»Wie kommt es«, platze ich heraus, »dass es überhaupt ein Thema so vieler Diskussionen ist, wer welche Art von Beziehung führt oder nicht? Wir leben in einer Gesellschaft, wo Frauen und Männer unabhängig voneinander existieren können. Heute hat man die Wahl und damit Möglichkeiten, sein Leben so zu gestalten, wie man es möchte.«
Mein Gesicht fühlt sich an wie eine mit kochend heißem Wasser gefüllte Wärmflasche, doch ich spreche weiter.
»Wenn ich sage,
Liebe gibt es nur im Kopf,
meine ich, dass es sich lediglich um ein Konstrukt aus Nervenzellen, Hormonen und Phantasie handelt.«
Beatrice Kleidermann schürzt die Lippen, doch ehe sie etwas sagen kann, gibt Reifenstein das Wort an Glahnz weiter:
»Ist diese rationale Vorstellung nicht höchst unromantisch?«
»Ganz im Gegenteil«, sagt Glahnz überraschenderweise, und dabei sucht sein Blick meine Augen. »Es ergeben sich nur neue Herausforderungen. Durch die Unabhängigkeit beider Partner ist die Grundlage einer Beziehung nicht mehr materielles Denken oder Suche nach Status und Geborgenheit. Im Gegensatz zu vielen Ehen, die geschlossen wurden, um Erwartungen zu erfüllen und eine gesicherte Zukunft zu haben, ist die Basis der modernen Beziehung tatsächlich die Liebe.«
Die blauen Augen weichen mir keine Sekunde aus. Er beherrscht es perfekt, wie ein unschuldiger Junge auszusehen. Ich gebe mir alle Mühe, ihn
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