Naschmarkt
von Herzen zu hassen. Das Publikum liebt ihn.
»Liebe, das ist ein gutes Stichwort.« Reifenstein hat diebische Freude an seiner kleinen, kriegerischen Diskussionsrunde. Die Blicke, die er Glahnz zuwirft, sind unmissverständlich, auch wenn der Autor scheinbar nichts bemerkt. Ob Glahnz schwul ist? Das Kinnbärtchen könnte dafür sprechen. Aber was hatte er dann beim Speeddating zu suchen? Was hatte er
überhaupt
beim Speeddating zu suchen?
»In Ihrem jüngsten Roman
Amors Feder
«, singsangt Reifenstein, »tritt die Liebe in Gestalt einer äußerst modernen Personifizierung von Gott Amor auf. Ich sage nur sexy, sexy, sexy. Sie haben nicht nur eine Kultfigur geschaffen, Sie sind mittlerweile selbst eine Kultfigur. Sehen Sie sich als Botschafter der Liebe?«
Der König verliert nun etwas die Contenance und streichelt sich beim Reden recht auffällig die wuchtigen Schenkel.
»Botschafter, du meine Güte, nein. Das würde ja voraussetzen, dass ich mehr über die Liebe weiß als andere.«
Glahnz lacht affektiert. Wäre
er
ein
Harry-Potter
-Charakter, dann mit Sicherheit Gilderoy Lockhart, der von sich eingenommene Dampfplauderer. Wie komme ich jetzt da drauf?
»Glauben Sie denn an die Liebe?«
Glahnz zögert keine Sekunde.
»Es ist nicht möglich, nicht an die Liebe zu glauben. Liebe ist eine Tatsache, die sich nicht leugnen lässt. Höchstens verleugnen.«
Er kann sich einen weiteren tiefblauen Blick in meine Richtung nicht verkneifen.
»Diese ganze Diskussion ist lächerlich«, mischt sich Beatrice Kleidermann ein. »Es spielt keine Rolle, ob man eine Familie gründet, weil man emotional und hormonell involviert ist, oder deshalb, weil man die besten genetischen sowie wirtschaftlichen Bedingungen für den eigenen Nachwuchs anpeilt. Tatsache ist, dass der Mensch seiner Veranlagung nach monogam und kein Einzelgänger ist. In der Familie liegt die Zukunft. Wer keine Kinder kriegen will, soll Strafe zahlen!«
Gemurmel im Publikum stört die Sendung.
»Kanzler«, spricht Reifenstein ein Machtwort. »Was sagt denn Wikipedia? Ist das korrekt?«
»Nicht ganz«, antwortet der Kanzler nach einem Blick auf seinen Computerbildschirm. »Der Mensch ist höchstens partiell monogam, etwa, solange es darum geht, Nachwuchs großzuziehen. Dazu kommt, dass der männliche Teil unserer Spezies von Natur aus darauf aus ist, seinen Samen möglichst breit zu streuen.
Fremdgehen ist biologisch durchaus sinnvoll. Der Mann kann so seinen Reproduktionserfolg erhöhen, die Frau bessere Gene für das Kind bekommen. In der gegenwärtigen Gesellschaft der Selbstverwirklichung muss man daher das klassische monogame Familienmodell als überholt ansehen, passender wäre die Bezeichnung ›Serielle Monogamie‹.«
Auf den blassen Wangen der eisblonden Beatrice Kleidermann sind während dieser Ausführungen hektische rote Flecken aufgetaucht. Aus dem Augenwinkel beobachte ich, wie sie ihrem Mann einen bösen Blick zuwirft. Froschmaul starrt düster vor sich hin.
»Wenn ich Ihnen so zuhöre, werter Herr Kanzler«, widerspricht Glahnz, »bekomme ich den Eindruck, dass Sie über Zuchtpferde sprechen. Nicht jeder Mann denkt ausschließlich an Vermehrung, und nicht jede Frau sucht nach einem Ken für ihre perfekten Barbiebabies.«
Ich könnte schwören, dass er damit auf meinen Kuss mit Ramy beim Speeddating anspielt. Für wen hält er sich eigentlich? Er selbst ist schließlich auf schnellstmöglichem Weg abgerauscht. Mein Puls beginnt zu rasen.
»Die Fähigkeit«, fährt er fort, »Liebe unabhängig von sexueller Libido und evolutionär bedingtem Instinkt zu empfinden, ist es, die Mensch und Tier unterscheidet.«
»Ach ja?« Meine Wut lässt sich nicht länger kontrollieren. »Dann frage ich mich, warum ein Liebesguru wie Sie sich beim literarischen Speeddating herumtreibt.«
Ein Raunen geht durchs Publikum, und Reifenstein und der Kanzler tauschen einen verständnislosen Blick. Glahnz sieht sich nervös um und sagt leise: »Das gehört nicht hierher, Frau Wilcek.« Etwas an der Art, wie er meinen Namen ausspricht, irritiert mich.
»Es gehört sehr wohl hierher, Herr Glahnz!«
Ich gebe mir größte Mühe, das H so unstumm wie möglich auszusprechen.
»Es ist die falsche Frage«, sagt er.
»Welche Fragen ich stelle, ist immer noch meine Sache. Oder wollen Sie mir den Mund verbieten? Sie präsentieren sich als großer Romantiker. Sie verkaufen Tausenden gutgläubigen Leserinnen da draußen die Geschichte vom sensiblen Mann, der ja so
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