Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
Vom Netzwerk:
ungemein an die Liebe glaubt. Aber in Wahrheit haben Sie keine Ahnung und sitzen selbst als Suchender beim Speeddating. Das nenne ich, sich ins rechte Licht rücken, Herr Buchautor!«
    »Haben Sie meinen Roman gelesen, Frau Wilcek?«
    Seine Stimme ist ruhig, doch an der Anspannung in seinem Gesicht sehe ich, dass ich gut gezielt habe.
    »Ich bin Literaturkritikerin, Herr Glahnz. Romantische Ammenmärchen fallen nicht in mein Ressort.«
    Das Studiopublikum lacht und klatscht begeistert Beifall. Ich lehne mich im Stuhl zurück und genieße den Anblick meines fassungslosen Gegenübers. Täusche ich mich, oder zittern seine Hände, die er krampfhaft verschränkt hat?
    Irgendetwas an der Diskussion ist seltsam, und ich frage mich, warum es mich nicht mehr befriedigt, ihn bloßgestellt zu haben. Oder warum mich gerade das Gefühl beschleicht, verflucht danebengegriffen zu haben.
    Reifenstein versucht indessen, die Sendung in geordnete Bahnen zu lenken.
    »Kanzler, ich glaube, es wird Zeit, erneut das royale Netz zu befragen.«
    Der Kanzler tippt eifrig am Computer herum.
    »Tatsächlich ist eben eine Frage über Twitter reingekommen, von Untertan @victorhugo.«
    Ich horche auf. Das ist Ramys Twitteraccount. Ich sehe gerade noch, wie er sein iPhone unauffällig in die Hosentasche schiebt und mir zuzwinkert.
    »Eine Frage an Untertanin Kleidermann: Würden Sie sagen, dass Singles weniger wert sind als Menschen mit Beziehungen?«
    Ich halte gespannt die Luft an. Eine Antwort darauf wäre purer Wahnsinn. Doch die Kleidermann tappt prompt in die Falle.
    »Wert im Sinne von nützlich für die Gesellschaft, ja, das kann man so sagen. Schließlich will jeder später einmal eine Alterspension kassieren. Wer soll die zahlen, wenn Frauen lieber verhüten, abtreiben und Karriere machen?«
    Eine Mischung aus Applaus und Buh-Rufen spaltet den Zuschauerraum in zwei deutliche Lager. Die vorher so gründlich geübten Verhaltensregeln des Livepublikums werden nun komplett ignoriert. Eine dicke Frau springt wie ein Gummiball auf und nieder und beschimpft eine Dame im Hosenanzug. Selbst Froschmaul schüttelt energisch den Kopf. Die Liveshow droht, außer Kontrolle zu geraten. Der Kanzler versucht, zu Wort zu kommen, wird aber von Beatrice Kleidermanns schneidendem »Seien Sie doch still!« unterbrochen.
    Der Einzige, der sich völlig ruhig verhält, ist Florian Glahnz. Er streicht sich über ein nicht vorhandenes Bärtchen am Kinn und hat die Stirn in Falten gelegt. Als sich unsere Blicke treffen, lächelt er nicht.
    Die Fanfare ertönt.
    »Volk, Untertanen, Staatsbedienstete!«, dröhnt Roman Reifensteins Stimme durchs Studio. Er steht mit ausgebreiteten Armen vor dem Thron und hat plötzlich für einen Moment tatsächlich die Autorität eines Monarchen. »Soeben erreicht mich eine Depesche, die mir die Nachricht des Tages aus dem
Buch der Gesichter
vermeldet.«
    Die Facebook-Meldung des Tages ist stets ein Highlight der
Audienz.
Wie auf Kommando wird es daher fast ganz ruhig im Publikum. Die Redaktion macht sich die Mühe, die thematisch passendste Statusaktualisierung der vergangenen vierundzwanzig Stunden rauszusuchen. Auf dem Fernsehbildschirm und fürs Studiopublikum auf einer großen Videowall wird die Meldung eingeblendet. Schon beim ersten Satz sträuben sich mir die feinen Haare im Nacken.
    Beatrice Kleidermann
    Ich weiß, dass mein Mann mich betrügt. Dass er die Kinder terrorisiert, ist eine Sache, aber rumvögeln, dafür mache ich ihn fertig!
    Gefällt mir. Kommentieren. Teilen – vor 12 Stunden
    Der Rest geht in einem allgemeinen Aufstöhnen unter. Fast niemanden hält es noch auf seinem Stuhl. Zuschauer, Fernsehcrew, alles brüllt durcheinander. Die eisblonde Frau auf dem goldenen Stuhl ist noch blasser geworden, als sie ohnehin schon ist.
    »… öffentlich!«, stammelt sie.
    »Wie bitte?« Reifenstein versucht, mit dem Aufnahmeleiter Kontakt aufzunehmen. Kleidermann fühlt sich angesprochen.
    »Mein Profil ist nicht öffentlich.« Ihr Blick flackert und bleibt hilfesuchend an mir hängen. »Nur meine Freunde können das lesen.«
    »Sie sollten Ihren Freundeskreis überdenken«, rate ich ihr. Florian Glahnz sieht mich an wie ein besonders hässliches Insekt und reicht Kleidermann sein Wasserglas. Der Blick sticht seltsam in meinen Magen.
    »Alles in Ordnung?« Glahnz legt ihr fürsorglich eine Hand auf den Rücken und sorgt dafür, dass sie das Glas zum Mund führt. Sie trinkt es in einem Zug leer und nickt. Ich will etwas

Weitere Kostenlose Bücher